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Dr. Karin Hutflötz neues Mitglied im ZRKG

Dr. Karin Hutflötz wurde im Jahr 2010 mit einer Arbeit zur Existenzphilosophie promoviert. Aktuell ist sie Habilitandin am Lehrstuhl für Bildungsphilosophie und Systematische Pädagogik an der KU Eichstätt-Ingolstadt. Dr. Hutflötz ist außerdem Mitbegründerin des Instituts für philosophische Bildungsforschung in München und als Referentin für Persönlichkeitsbildung und Pädagogik u.a. an der Domberg-Akademie in Freising tätig. Seit 2022 ist sie assoziiertes Mitglied im ZRKG und engagiert sich im Forschungsfeld II; sie forscht zu Persönlichkeitsbildung in anerkennungstheoretischer Perspektive, zu Leitbildern und normativen Maßgaben von Bildung und Erziehung, wie zu Prinzipien und Praktiken von Wertebildung unter den Bedingungen von Diversität und Digitalität. Im Gespräch mit dem ZRKG stellt sie sich vor.

ZRKG: An welchem Forschungsprojekt arbeiten Sie aktuell?

A: Für mein Habilitationsprojekt untersuche ich die Bildung und Transformation von Werthaltungen und ihre Rolle für Persönlichkeitsbildung, vor allem anhand der Struktur und Dynamik von intra- und interpersonalen Wertekonflikten. Es ist eine philosophische Untersuchung in interdisziplinärer Perspektive, die fragt, wie und wodurch sich nicht nur vorgebliche, sondern handlungsleitende Werte und normative Haltungen im Laufe der persönlichen Entwicklung und in wechselseitigen Anerkennungsprozessen bilden und verändern. Der Titel „Wertekonflikte als Bildungsort“ benennt schon meine zentrale These und Anliegen, nämlich zu zeigen, inwiefern gerade Konflikte ausgezeichnete Orte der Wertebildung sein können, da im Konfliktfall intrinsische Werthaltungen spürbar und in ihrer Dynamik mehr als sonst sichtbar werden, dadurch bestärkt oder geschwächt, jedenfalls wandlungsoffen werden. Was das für Bildungsprozesse im Allgemeinen und insbesondere für Demokratie-Bildung in einer pluralen Migrationsgesellschaft bedeutet, soll die Arbeit in anerkennungstheoretischer Perspektive und anhand konkreter Bildungspraktiken zeigen.

ZRKG: Wie sind Sie zu diesem Thema gekommen? Hat es so etwas wie einen starken Impuls, ein zentrales Motiv gegeben?

A: Tatsächlich gab es ein solches! Die fachlich oberflächliche wie polemisch aufgeladene Debatte zu „Werten“ im Zuge einer Angst vor „Werteverfall“ oder einer ideologisch gefärbten Forderung nach „Wertevermittlung“ an Geflüchtete hat mich bereits vor einigen Jahren dazu gebracht, ein Forschungsprojekt zu initiieren zur Untersuchung von Wertebildungsmaßnahmen im Kontext von Flucht und Migration. Dies hat grundsätzlich mein Interesse geweckt an den Bildungs-Bedingungen eines guten Zusammenlebens und an demokratischer Werte-Bildung in der Migrationsgesellschaft. Daraus ergab sich die Entwicklung eigener Bildungsformate zur Wertebildung und weitere Forschung zu einer relationalen Ethik der Selbst- und Persönlichkeitsbildung, die im Wesentlichen rekurriert auf die Sozialphilosophie von Axel Honneth und John Dewey, auf die Theorien von Hannah Arendt und Simone Weil, wie auch auf das Selbstkonzept von Sören Kierkegaard und die Arbeiten von Richard Schwartz.

Ein zentrales Motiv für das Aufgreifen der Thematik war und ist für mich die in vielen Bereichen wirkmächtige Kluft zwischen den faktisch leitenden, technokratischen Werthaltungen unserer Zeit (wie Kontrolle, Sicherheit, Effizienz – vor allem quantitativer Outcome und monetärer Profit) auf der einen Seite und den theoretisch vorgeblichen Werten christlicher Prägung auf der anderen Seite, die in Sonntagsreden gefeiert werden, während die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit stetig wächst. „Doch am Widerspruch entzündet sich das Denken“, sagt Simone Weil, und in diesem Sinne finde ich es sehr spannend, dem nachzugehen und die Struktur und Dynamik dieser Widersprüche zu beforschen, um zu verstehen, was das für Menschsein und Bildungsprozesse bedeutet.

ZRKG: Was motiviert Sie, einem interdisziplinären Forschungszentrum beizutreten?

A: In meinen Forschungsprojekten arbeite ich bereits interdisziplinär im Schnittfeld von Philosophie, Pädagogik und Psychologie. Daher finde ich die Interdisziplinarität des Zentrums für meine Themen besonders bereichernd und freue mich sehr, dass es ein Zentrum dieser Art in Eichstätt gibt.

ZRKG: Gibt es Themen, die Ihnen dabei besonders wichtig sind?

A: Themen, die mir besonders am Herzen liegen, aber auch von aktueller Brisanz und Forschungsrelevanz sind, sehe ich in dem großen Feld der Persönlichkeitsbildung oder auch speziell in der Wertebildung, die in einzelnen Disziplinen (in der Psychologie, Soziologie, Philosophie und Pädagogik, ebenso in Moral- und Pastoraltheologie) intensiv und je anders beforscht werden, wozu aber kaum konstruktiver Austausch interdisziplinär stattfindet, noch genug Transfer in die Bildungspraxis gelingt. Angesichts aktueller Krisen wird man zu diesen Themen aber in Zukunft ganz anders vernetzt forschen müssen, um den Herausforderungen der Bildungspraxis gerecht zu werden.

ZRKG: Gibt es eine Disziplin neben Ihrem eigenen Fach, der Sie sich besonders verbunden fühlen? Und wenn ja – warum?

A: Da ich aus der Philosophie komme, fühle ich mich methodisch und ideengeschichtlich der Soziologie am nächsten. Die Grenzen zwischen philosophischer und soziologischer Forschung werden gerade im Hinblick auf meinen Schwerpunkt in Sozialphilosophie und Anerkennungstheorie immer unschärfer. Inhaltlich interessiert mich vor allem die Struktur und Dynamik von Selbstbildung und Persönlichkeitsentwicklung im sozialen und politischen Kontext. Das ist thematisch eng mit Politischer Bildung und den Themen der Psychologie und psychotherapeutischen Forschung verbunden. Hinsichtlich des Fokus auf existenzielle Fragen in ethischer Perspektive und auf bildungsphilosophische Grundfragen nach Menschenbild und Leitbildern von Bildung und Erziehung fühle ich mich aber auch der Theologie und ihren spirituellen Traditionen sehr verbunden. Meine Liebe zum disziplinär Hybriden spiegelt sich auch in den Autor*innen, auf die ich mich primär beziehe, wie Kierkegaard, Nietzsche, Dewey – oder Axel Honneth, Hannah Arendt und Simone Weil.

ZRKG: Vielen Dank für das Interview!