Ethikunterricht in Bayern hat im Jahr 2021 eine gesetzliche Neuregelung erfahren und auch an der KU ist im Wintersemester 2021/22 gerade ein Studiengang für das Lehramt im Fach Ethik/Philosophie angelaufen – so gesehen war es eine durchaus glückliche Fügung, dass die bundesweit größte Tagung im Bereich der Philosophie- und Ethikdidaktik zum Thema „'Wie hast Du's mit den Religionen?' - Religion und Bildung im Philosophie- und Ethikunterricht“ am 24./25. September 2021 in Eichstätt stattfinden konnte. Die Tagung wurde unterstützt durch das ZRKG und die Pädagogische Stiftung Cassianeum.
Dass das Thema Religion gerade im Kontext der KU auf Interesse stoßen würde, konnte dabei durchaus vorausgesetzt werden – mit Blick auf den Ethik- oder Philosophieunterricht war jedoch auch klar, dass es sich um ein Thema handelt, das aus einer Reihe von Gründen kein Gegenstand wie jeder andere ist. Zwar sind Glaubensinhalte, Riten und Ethik der Weltreligionen in den Curricula aller Bundesländer feste Bestandteile des Ethik- und/oder Philosophieunterrichts. Aber obwohl es sich dabei um hochkomplexe Gegenstände handelt, zu deren Thematisierung es in erheblichem Umfang eines spezifischen kulturellen Wissens bedarf, finden solche Inhalte in der entsprechenden Lehrerausbildung oft wenig Berücksichtigung. Zudem ist auch das Verhältnis zwischen Religion und Philosophie selbst ein durchaus spannungsreiches. Im schulischen Kontext wird diese Spannung nicht zuletzt dadurch greifbar, dass philosophische Unterrichtsfächer aufgrund ihrer institutionellen Stellung als Alternative zum Religionsunterricht zuweilen von Lehrenden wie Lernenden in einer Art Konkurrenzstellung zum Religionsunterricht gesehen werden. So finden nicht nur Schüler*innen sich oft deshalb im Philosophieunterricht wieder, weil sie sich für „religiös unmusikalisch“ halten, sondern auch für viele Lehrer*innen der entsprechenden Fächer gehört eine eher distanzierte Haltung zur Religion zur eigenen beruflichen Identität.
Um die fachdidaktischen Fragen in diesem Spannungsfeld ausgiebig zu diskutieren, waren im September nun Fachdidaktiker*innen, Philosoph*innen, Religionswissenschaftler*innen sowie Theolog*innen verschiedener Religionen und Konfessionen in Eichstätt zusammengekommen.
Neben insgesamt 17 Sektionsvorträgen, die jeweils in drei parallel tagenden Sektionen stattfanden, waren – anders als bei früheren Veranstaltungen der alle zwei bis drei Jahre durchgeführten Tagung – für die vier Plenarvorträge und die öffentliche Podiumsdiskussion weniger renommierte Philosophen als vielmehr Theolog*innen und eine Religionswissenschaftlerin eingeladen.
Philosophisch wurde es vor allem im Eröffnungsvortrag zur Tagung, für den der evangelische Bonner Liturgiewissenschaftler und Religionsdidaktiker Michael Meyer-Blanck verpflichtet werden konnte, dann freilich trotzdem. Der emeritierte Ordinarius stellte mit seinem Vortrag über „Das Gute, das Wahre und das Schöne – zeigen und verstehen: Religion und Bildung“ gleich zu Beginn der Veranstaltung in eindrucksvoller Weise die Rolle des Religiösen für Prozesse philosophischer Bildung heraus, indem er – auf die bekannten vier Kantischen Fragen rekurrierend – in einem philosophischen Rundumschlag zeigte, dass Religion nicht nur als ein Gegenstand der Philosophie unter anderen verstanden werden kann, sondern vor allem da von Bedeutung ist, wo das philosophische Fragen an seine Grenzen gerät.
In einem Abendvortrag unternahm es der in Innsbruck und Wien lehrende islamische Religionspädagoge Zekirija Sejdini, ethische Grundsätze auf der Basis islamischer Theologie zu entfalten, indem er über „Menschenbild und Werte im Islam. Muslimische Zugänge als Perspektiven für den Ethikunterricht“ referierte und den Zuhörern damit ein gerade für den Ethikunterricht wichtiges Themenfeld erschloss.
Für kontroverse Auseinandersetzungen sorgte am zweiten Tag der Veranstaltung dann der morgendliche Plenumsvortrag der Heidelberger Religionswissenschaftlerin Inken Prohl, die mit Ihrem Beitrag „Jenseits von religiöser Bildung und Religionskritik – kulturwissenschaftliche Herangehensweisen an Religion im Ethik- und Philosophieunterricht“ einen Blick auf Religion eröffnete, dem viele der Philosophie- und Ethikdidaktiker beipflichten konnten – der sich aber an theologische Perspektiven nicht ohne Weiteres als anschlussfähig erwies und so eine Reibungsfläche anbot, die für die Diskussion der Veranstaltung in hohem Maße fruchtbar war.
Die Judaistin Susanne Talabardon bot den Tagungsteilnehmer*innen in ihrem Abschlussvortrag ein breites Panorama ethischer Implikationen jüdischen Glaubens an, wobei sie in Ihrem Vortrag „Das Gute, das Verlässliche und das Gerechte – gemeinsam lernen und verstehen: Jüdische Tradition und ethische Bildung“ in einer für die Hörer*innen äußerst erhellenden Art und Weise zahlreiche Unterschiede herausarbeitete, die sich aus der Perspektive christlicher und jüdischer Theologie mit Blick auf das Themenfeld Ethik ergeben können.
In den Sektionen lieferten Vortragende unterschiedlichster Qualifikationsstufen – von Nachwuchswissenschaftlern, Doktoranden und Schulpraktikern bis hin zu Lehrstuhlinhabern und Emeriti – auf einem durchweg hohen Niveau ein breites Spektrum an Themen von der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Religion zu Philosophie, Ethik und Politik bis hin zu Best-Practice-Workshops, die den Untertitel zum Tagungsthema – Religion im Philosophie- und Ethikunterricht – praktisch und z.T. sehr wörtlich umsetzten. Dabei waren sehr verschiedene Religionen und Konfessionen vertreten und berücksichtigt.
Besonders die von Michael Kühnlein moderierte Podiumsdiskussion legte am Freitagnachmittag Spannungen frei, die sich im Kontext der Philosophie- und Ethikdidaktik bei der Auseinandersetzung mit religiösen Weltzugängen und Lebensorientierungen ergeben: So führte nicht zuletzt die Einschätzung des Dresdner Philosophiedidaktikers Markus Tiedemann, Religionen hätten keine Ethik im philosophischen Sinne des Begriffs, sondern nur ein Ethos, das Gespräch in kontroverse Auseinandersetzungen mit vielen der beteiligten Theologen. Auch die Frage, ob Termini wie „religious literacy“ eine didaktische Perspektive für Philosophie- und Ethikdidaktik eröffnen können oder möglicherweise bereits in Konflikt geraten mit dem Überwältigungsverbot des Beutelsbacher Konsenses, wurde von Religionspädagogen und Philosophiedidaktikern z.T. sehr unterschiedlich bewertet.
Vor allem aber wurde auf der gesamten Tagung deutlich, dass der Umgang mit dem Gegenstandsbereich Religion insgesamt und besonders mit den normativen Implikationen religiöser Weltzugänge vor allem innerhalb der Philosophie- und Ethikdidaktik selbst sehr unterschiedlich bewertet und verstanden wird. Hier wird wohl weitere Verständigung und Auseinandersetzung notwendig bleiben – die Tagung hat diese wichtige Debatte zwar eröffnet, keineswegs jedoch erschöpft.