Sprach- und Kulturkontakt in Brasilien

Sprachminderheiten mit böhmischem und bayerischem Einwanderungshintergrund in Rio Grande do Sul und Santa Catarina

Prof. Dr. Sebastian Kürschner

Brasilien weist eine lange Einwanderungsgeschichte auf. Das Land ist dadurch ständig von „Dialogen von Kulturen“ geprägt, die nur durch eine interdisziplinär geprägte Forschung erschlossen werden können. Das Projekt beschäftigt sich spezifisch mit Sprachminderheiten, die auf eine böhmische oder bayerische Einwanderungsgeschichte zurückblicken. Es baut auf bestehenden und neu erhobenen Datensammlungen gesprochener Sprache auf, die semi-strukturierte und freie Interviews enthalten.

Sprachkontakte finden in diesen Minderheitengruppen sowohl zwischen deutschsprachigen, dialektal geprägten Gruppen statt als auch zwischen den Sprachen Deutsch und Portugiesisch (und anderen Sprachen). Dabei spielen etwa Fragen von Identität und Abgrenzung eine große Rolle, weiterhin auch Dialoge mit der neuen Umwelt, die sich etwa im Wandel der Personennamen oder der Namen für die Umgebung spiegeln (Namen für Städte, sprachliche Varietäten, Flüsse, Berge, etc.). Weiterhin wird auch stark auf die sprachliche Perzeption (etwa Sprachattitüden) eingegangen, wie sie sich im Kontakt mit Gruppen der Umgebung erweisen.

Der bayerische und böhmische Einwanderungshintergrund erweist sich als besonders ergiebig, da die Forschung sich bislang stark auf mittelfränkische Dialekte (das sog. Hunsrückische) und das Pommersche in Brasilien konzentriert hat, das Wissen über andere Dialektgruppen aber bislang noch gering ist. Insbesondere ist die Entwicklung deutscher dialektal geprägter Varietäten in Brasilien auch für die Erforschung des Kontakts zwischen Dialekten des Deutschen von hohem Interesse, lässt sich doch nachverfolgen, dass aus dem Kontakt etwa mit dem Hunsrückischen verschiedene Konstellationen resultieren, die bis zur Aufgabe des Ursprungsdialekts zugunsten des Hunsrückischen führen können. So ließ sich bereits feststellen, dass an einem Ort in einer kleinen Gruppe am bairischen Dialekt festgehalten wird, während an unterschiedlichen Orten der nordböhmische Dialekt weitgehend durch hunsrückische oder standardsprachennahe Varietäten ersetzt wurde. Solche Beobachtungen sind sowohl aus historischer Sicht als auch mit Blick auf die Gesellschaften der Gegenwart interessant und legen den Einbezug neuer Forschungsmethoden nahe, die sich an gesprächslinguistischen, sprachverstehensorientierten und neueren soziolinguistischen Forschungsbereichen orientieren.

 

 

Projektbezogene Publikationen:

Sammelbände:

Limberger, Bernardo, Sebastian Kürschner, Cléo V. Altenhofen & Isabella Ferreira Mozzillo (Hg., 2020): Minority Languages / Línguas Minoritárias. Thematischer Band der Zeitschrift Linguagem & Ensino. Open Access DOI: doi.org/10.15210/rle.v23i4.

Pupp Spinassé, Karen, Cléo Vilson Altenhofen & Sebastian Kürschner (Hg., 2017): Plurilinguismo na educação e na sociedade. Band der Zeitschrift Organon (Band 32/62). 317 Seiten. Open Access: seer.ufrgs.br/organon/issue/view/3108/showToc. [Mehrsprachigkeit in Bildung und Ge-sellschaft.]

Wolf-Farré, Patrick, Lucas Löff Machado, Angélica Prediger & Sebastian Kürschner (Hg., in Erarbeitung): Deutsche und weitere germanische Sprachminderheiten in Lateinamerika. Methoden, Grundlagen, Fallstudien. Frankfurt: Lang (MinGLA – Minderheiten germanischer Sprachen in Lateinamerika / Minorías de lenguas germánicas en Latinoamérica).

 

Forschungs- und Überblicksartikel:

Habermann, Mechthild & Sebastian Kürschner (angenommen): „Sprachliche Variation im Bairi-schen von São Bento do Sul, Brasilien.“ Angenommen für: Stephan Elspaß, Philip C. Vergeiner & Dominik Wallner (Hg.): Tagungsband zur 14. Bairisch-Österreichischen Dialektologentagung (BÖDT). Stuttgart: Steiner (Beihefte ZDL).

Kürschner, Sebastian, Mechthild Habermann, Angélica Prediger & Karen Pupp Spinassé (eingereicht): „Bohemian varieties in Southern Brazil.“ Eingereicht für: Mark Louden, Hans C. Boas, Ana Deumert & Péter Maitz (Hg.): Varieties of German Worldwide. New York/Oxford: Oxford University Press.

Kürschner, Sebastian & Angélica Prediger (2020): „Lexikalische Entwicklungen bei Nachfahren nordböhmischer Einwanderer in Rio Grande do Sul – innersprachliche Entwicklungen und deutsch-portugiesischer Sprachkontakt.“ In: Linguagem & Ensino 23/4 (Sonderband zum Thema Minority Languages / Línguas Minoritárias, hg. von Bernardo Limberger, Cléo V. Altenhofen, Sebastian Kürschner & Isabella Mozzillo), 1005–1028. Open Access DOI: doi.org/10.15210/rle.v23i4.19403.

Löff Machado, Lucas & Sebastian Kürschner (angenommen): „Identitätskonstruktion in deutschsprachigen Gemeinschaften in Rio Grande do Sul, Brasilien.“ Angenommen für: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik.

Prediger, Angélica & Sebastian Kürschner (2021): „Die Dynamik des gesprochenen Deutschen bei Nachfahren böhmischer Auswanderer in Südbrasilien.“ In: Csaba Földes (Hg.): Kontaktvarietäten des Deutschen im Ausland. Tübingen: Narr (= Beiträge zur Interkulturellen Germanistik 14), 215–237.