„Eine zielführende Investitionsstrategie in nachhaltige Sozialimmobilien macht Anpassungen sowohl im sozialrechtlichen Regelwerk als auch in der Förderlandschaft notwendig“, sagt Prof. Dr. Jürgen Zerth, der an der KU die Professur für Management in Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens innehat. Er betont: „Die Sozialund Gesundheitswirtschaft ist im Hinblick auf das Potenzial für CO2- Einsparung ein schlafender Riese!“ Die Versorgung mit Strom und Wärmeenergie der bundesweit etwa 100.000 Sozialimmobilien verursacht laut Berechnungen der Arbeitsgruppe jährliche Emissionen von bis zu 14 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Dies verursache pro Jahr volkswirtschaftliche Kosten in Höhe von rund 9,8 Milliarden Euro. Angesichts dessen setzen sich die Unternehmen und die Verbände der gemeinnützigen und privaten Wohlfahrtspflege das Ziel, die Dekarbonisierung ihrer Sozialimmobilien zeitnah umzusetzen und etwa im Fall der Diakonie Deutschland und der diakonischen Unternehmen die Klimaneutralität ihrer Gebäude bis zum Jahr 2035 zu erreichen.
Vor diesem Hintergrund haben sich Zerth und sein Vorgänger Prof. Dr. Bernd Halfar mit Akteuren der Branche zusammengetan, um Hürden zu identifizieren und Lösungen zu formulieren. Das Spektrum der in der Arbeitsgruppe vertretenen Institutionen reicht von der Diakonie über die Johanniter Unfallhilfe bis hin zu kirchlichen Banken und Kapitalverwaltungsgesellschaften. Die Beteiligten plädieren dafür, das aktuelle Sozialgesetz zu erweitern. Dieses verlange bislang, dass Pflege,- Beratungs- oder Betreuungsleistungen „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sein müssten. Eine Erweiterung um den Aspekt „nachhaltig“ würde insbesondere in Verhandlungen zwischen den Sozialunternehmen und den Leistungsträgern den nötigen Spielraum für die Refinanzierung der Gebäudesanierungen schaffen, indem eine nachhaltige Ausgestaltung der Dienstleistung entsprechend vergütet werden kann.
Eine zentrale Hürde für Investitionen besteht, wie die Arbeitsgruppe betont, außerdem in der komplizierten (Re-)Finanzierungsstruktur der sozialwirtschaftlichen Unternehmen. „Wenn Sozialunternehmen aus eigenen Finanzierungsquellen energetische Verbesserungen im Gebäude durchführen würden, und diese Investitionen zu Kostensenkungen führen, würden bei einer selbstkostenbasierten Finanzierungssystematik auch die erstattungsfähigen Kostenansätze der Sozialunternehmen sinken, die die Leistungs- und Kostenträger finanzieren“, erklärt Halfar. Um den Sozialunternehmen dennoch einen Anreiz zur Sanierung sowie eine Möglichkeit der Amortisierung aufzuzeigen, sieht das Projekt-Team – zweitens – eine Kostenübernahme der bisherigen Energiekosten über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren nach der Sanierungsdurchführung vor. Nach Ablauf dieser Frist erfolge eine Anpassung an die aktuellen Energiekosten.
Neben einer Ergänzung des Sozialrechts und einer soliden Re-Finanzierung von Investitionen in Sanierungen fordert die Arbeitsgruppe außerdem die Einbindung einer sozialwirtschaftlichen Strategie in die europa- und bundespolitischen Einsparziele bei CO2-Emissionen. Bei den Mengenzielen sei der Bund als klimapolitischer Akteur aufgerufen, für die sozialwirtschaftlichen Immobilien die konkreten Einsparziele und den politischen Preis für eine eingesparte Tonne Kohlendioxid zu definieren. Als konkreten Anreiz für zeitnahe Investitionen schlägt die Arbeitsgruppe einen Zertifikatehandel für Sozialwirtschaft vor. Die Zertifikate bilden zu einem Stichtag die Emissionskosten einer Immobilie ab und verlieren ihre Gültigkeit zu einem festgelegten Zeitpunkt. Bis dahin hätten Sozialunternehmen Gelegenheit, ihre Emissionen zu senken – als Voraussetzung, um die Zertifikate wieder mit Gewinn an den Staat zu verkaufen. „Die Einführung eines sozialwirtschaftlich orientierten Zertifikatshandels könnte als eine ordnungspolitische Innovation gesehen werden, die das Potenzial der Sozial- und Gesundheitswirtschaft mit neuen sozialunternehmerischen Gestaltungsoptionen verknüpft“, betont Professor Zerth. Es gelte, eine Doppelstrategie zu befördern: die Integration des Nachhaltigkeitsziels in die Sozialgesetzgebung und ein Zertifikatsmodell als „Booster“ für nicht „sozialrechtlich verhandelbare“ Kosten.
Als vierte Maßnahme plädiert die Arbeitsgruppe für Modelle, die helfen dazu beizutragen, das Potenzial der Sozialwirtschaft als Energieproduzent auszuschöpfen. Voraussetzung dafür wäre es jedoch, den Sozialunternehmen zu ermöglichen, Strom ohne negative Auswirkungen für ihren Gemeinnützigkeitsstatus erzeugen und dem Zweckbetrieb, der Vermögensverwaltung oder dem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zuordnen zu können. Dies gelte auch für die Gebäude von Kirchen, Gewerkschaften oder gemeinnütziger Wohnungsgesellschaften. Innerhalb der gesamten Sozialwirtschaft könnten hochgerechnet mehr als 4,2 Millionen Megawattstunden pro Jahr durch Photovoltaik hergestellt werden. Dies entspricht laut Statistischem Bundesamt dem jährlichen Stromverbrauch von mehr als 610.000 Personen. Eine Verwendung der Freiflächen durch Windräder oder ebenfalls Photovoltaik, sowie von Fassadenflächen könnte weitere Potenziale eröffnen. Nach einer energetischen Sanierung und dem Einbau von Wärmepumpen könnten die Einrichtungen, in Kombination mit dem Ausbau von PV-Anlagen auf den Dachflächen, mindestens 70 Prozent der aktuell benötigten Energie selbst herstellen bzw. einsparen.