„Wir fanden wieder zurück ins Leben“: Zeitzeugen berichten über DP-Camp Eichstätt

Einen sehr persönlichen Zugang zu einem wenig bekannten Aspekt der Eichstätter Nachkriegsgeschichte hat an der KU eine Tagung des Zentrums Flucht und Migration geboten, die sich mit dem jüdischen Displaced Persons-Camp befasste, welches von 1946 bis 1949 in der Bischofsstadt existierte. Eingerichtet von der United Nations' Relief And Rehabilitation Administration (UNRRA) bot es Zuflucht insbesondere für Juden aus Ostpolen, die während des Krieges zunächst nach Sibirien deportiert worden waren. Nach Kriegsende wurden sie nach Polen repatriiert, wo sie jedoch erneut Pogromen ausgesetzt waren und deshalb nach Deutschland in die amerikanische Besatzungszone flohen.

Die heutige Eichstätter Jugendherberge diente als Krankenhaus für die Campbewohner, in dem auch rund 150 Kinder geboren wurden; zudem gehörten auch Kleinkinder und Jugendliche zu den Bewohnern des Camps. Zehn von ihnen haben Dr. Julia Devlin (Geschäftsführerin des Zentrums Flucht und Migration der KU) und der Eichstätter Lokalhistoriker Dr. Maximilian Ettle, die das Symposium initiierten, bei ihren Nachforschungen in Israel ausfindig gemacht und zur Tagung nach Eichstätt eingeladen. Viele von ihnen besuchten mit ihren Angehörigen nun erstmals ihren Geburtsort, der sich nach wie vor in ihren Ausweispapieren findet. Über das Symposium haben zudem einige von Ihnen erst voneinander erfahren. Die „Eichstätt-Babies“ gaben im Lauf der Tagung Einblick in das grausame Schicksal ihrer Familien, das sie teilen und in das Eichstätter Camp geführt hatte.

So verhaftete man den Vater von Shulamith Zakay, die 1938 in der heutigen Ukraine geboren wurde, 1939 ohne Begründung. Er kam beim einem Luftangriff 1942 ums Leben. Sie selbst wurde als Säugling mit ihrer Mutter nach Sibirien deportiert. Nach Kriegsende erhielten sie zwar Gelegenheit, wieder zurückzukehren, jedoch waren sie in ihrer früheren Heimat erneut Pogromen ausgesetzt, so dass sie über die Tschechoslowakei und Österreich nach Eichstätt gelangten. Eine ähnliche Flucht mussten auch die Eltern der anderen Zeitzeugen auf sich nehmen, die aus ihrer Familiengeschichte berichteten. Die damals sechsjährige Shulamith Zakay hat – wie sie schilderte – viele schöne Erinnerungen an Eichstätt: „Wir fanden wieder zurück ins Leben. Das Hungern war vorbei. Ich aß hier mein erstes Eis, ging ins Kino, meine Mutter arbeitete im Kindergarten des Camps“. Kontakt zur Bevölkerung habe es jedoch kaum gegeben, zumal die Verwaltung des Lagers von der UNRRA bewusst an die Bewohner selbst übertragen worden war. Auch der in Eichstätt geborene Jakob Noy betonte die Bedeutung des Lagers für seine Eltern: „Das war der erste Ort der Hoffnung und des Lichts nach sechs Jahren Dunkelheit. Meine Geburt in Eichstätt war für sie – wie sie mir erzählten – der Beginn einer neuen Zukunft.“ In einem weiteren Punkt deckten sich Schilderungen der Zeitzeugen: Die Eltern berichteten so gut wie nichts von den grausamen Erlebnissen, die ihnen in den Jahren zuvor widerfahren waren. „Erst nach dem Tod meines Vaters erfuhr ich, dass er während des Krieges nach Sibirien deportiert wurde“, so Bella Steiner. Generell hätten die Eltern der Eichstätt-Babies ihre Kinder so unbeschwert wie möglich aufwachsen lassen wollen und die Vergangenheit ausblenden. Der neugegründete Staat Israel bot ihnen eine bis dahin nicht denkbare Zukunftsperspektive, die im Alltag auch durch eine sprachliche Distanz zum Ausdruck kam: „Meine Schwester und ich unterhielten uns zwar daheim auf Jiddisch, in der Öffentlichkeit aber wollte sie das nicht, um nicht als Immigrantin aufzufallen“, so Bella Steiner. „Auch wenn die Rede von den ,Eichstätt-Babies‘ ist, habe ich mich immer als Erwachsene gefühlt, weil ich meine Eltern unterstützen musste“, ergänzte Yaffa Orenstein. Trotz einer erfolgreichen Karriere in Israel sei tief in ihr nach wie vor das Gefühl, eine Immigrantin zu sein.

Einen künstlerischen und ebenfalls persönlichen Zugang zu DP-Camps boten die Werke von Krista Svalboas und Lars Alverson aus den USA. Svalboas Eltern stammten aus dem Baltikum und verbrachten viele Jahre in verschiedenen Displaced-Persons-Camps in Deutschland. Gemeinsam mit Alverson hat sie sich auf die Suche nach den damaligen Orten gemacht und sie fotographisch dokumentiert. Überlagert werden diese Motive mit den Briefen von baltischen Flüchtlingen an Regierungen in den USA, Kanada und England, um einer Repatriierung in die Sowjetunion zu entgehen. So verbindet sie die schwindenden Erinnerungen ihrer Elterngeneration mit ihren eigenen Erfahrungen. Im nächsten Jahr werden ihre Werke unter anderem im Fotomuseum von Riga zu sehen sein.

Zum Auftakt der Veranstaltung betonte der Stiftungsratsvorsitzende Peter Beer: „Vor der Geschichte fliehen heißt, vor der Zukunft zu fliehen. Man muss sich der Geschichte – dem dunklen und dem hellen Teil – stellen, um daraus für die Zukunft zu lernen.“ Auch Ministerialrat Werner Karg betonte in seinem Grußwort die Bedeutung von Erinnerungskultur. KU-Vizepräsident Prof. Dr. Markus Eham wiederum betonte, dass aus Erinnerung Versöhnung erwachsen könne. In diesem Sinne formulierte auch Zeitzeugin Shulamith Zakay an ihre Nachkommen den Wunsch, dass diese Stabilität schätzen sowie die Freiheit von Körper und Seele. Eichstätts Oberbürgermeister Andreas Steppberger erinnerte in seiner Ansprache an das soziale Engagement für Flüchtlinge, das die Stadtgesellschaft angesichts aktueller Flüchtlingsbewegungen auf die Beine gestellt hat - als klares Ja für ein friedliches Miteinander.

Nicht nur für die „Eichstätt-Babies“ selbst, sondern für zahlreiche weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Symposiums bot dieses mit neun wissenschaftlichen Vorträgen darüber hinaus Einblick sowohl in die Geschichte des DP-Camps in Eichstätt sowie an anderen Orte der amerikanischen und französischen Besatzungszone sowie Österreich. Hinzu kamen etwa Beiträge zur von der UNRRA verfolgten Strategie der Selbsthilfe in DP-Camps sowie generelle Überlegungen zum Themenfeld der historischen Bildung.

Das ausführliche Programm der Tagung sowie die Liste der Referenten findet sich auf der Homepage der Zentrums Flucht und Migration.