Zwischen Alltag und Alarmbereitschaft: Handreichung für Soldatenfamilien in der Zeitenwende

Ein Soldat geht in den Einsatz und verabschiedet sich von seiner Familie
© Bundeswehr/Herholt

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist von einer Zeitenwende die Rede – sicherheitspolitisch, aber auch gesellschaftlich. Was das für Familien von Soldatinnen und Soldaten bedeutet, ist Thema einer neuen Broschüre des Zentralinstituts für Ehe und Familie in der Gesellschaft (ZFG) der KU. Unter dem Titel „Soldatenfamilien in der Zeitenwende. Partnerschaft und Familie zwischen Alltag und Kriegstauglichkeit?“ widmet sich die Handreichung den besonderen Herausforderungen für Partnerschaft und Erziehung in einer Zeit, in der die Gefahr eines Krieges greifbarer ist als lange zuvor. Im Fokus steht eine Frage, die auch für zivile Familien relevant ist: Wie gehen wir damit um, dass Frieden nicht mehr selbstverständlich ist?

Alexandra Hoff-Ressel, Dr. Peter Wendl, Peggy Puhl-Regler (von links)
Alexandra Hoff-Ressel, Dr. Peter Wendl und Peggy Puhl-Regler (von links)

„Als Gesellschaft können wir uns nicht mehr bequem zurücklehnen, wenn es um Fragen der Sicherheit geht. Die Bedrohung ist real – wir leben in Deutschland nicht im Krieg, aber auch nicht mehr im Frieden“, sagt Dr. Peter Wendl vom ZFG, der die Broschüre mit seinen Kolleginnen Peggy Puhl-Regler und Alexandra Hoff-Ressel erarbeitet hat. Deutschland reagiert auf die veränderte Bedrohungslage unter anderem, indem 5000 Soldatinnen und Soldaten dauerhaft in Litauen, an der NATO-Ostflanke stationiert werden. „Für sie und ihre Familien ist der Krieg greifbar“, betont Wendl. „Denn natürlich stellen Kinder Fragen: Mama, Papa, bist du in Gefahr? Kannst du da sterben? Warum machst du das überhaupt?“ Soldatinnen und Soldaten stünden in einer Auskunftsnotwendigkeit und unter Rechtfertigungsdruck. Und nicht nur sie: Zu rund 180.000 Bundeswehrangehörigen gehören Partner, Kinder, Freunde – Menschen, die mittragen, was der Dienst an der Waffe bedeutet. „Wenn in der Schule der Banknachbar sagt: Dein Papa knallt Leute ab, dann sollten Kinder wissen, wie sie das einordnen und dem begegnen können“, erklärt Pädagogin Alexandra Hoff-Ressel. 

In diesem Sinne will das ZFG mit seiner Broschüre Orientierung bieten. „Die Betroffenen sollen auskunftsfähig werden gegenüber ihren Lieben und damit als Individuum und als Familie resilienter“, sagt Theologe und Therapeut Peter Wendl. Dafür gibt es in sieben Kapiteln psychologisch und pädagogisch fundierte, praktische Denk- und Gesprächsimpulse. Hoff-Ressel erläutert: „Wir wollen die Soldatinnen und Soldaten ermutigen, sich mit schwierigen Fragen und Themen auseinanderzusetzen und eine fundierte Haltung zu entwickeln, um dann mit ihrer Familie in den Dialog zu gehen.“ 

Zeitenwende-Broschüre
© MBA

Ein eigenes Kapitel widmet sich der Frage, wie man mit Kindern über Krieg und Gefahr sprechen kann. „Es ist eine Illusion zu glauben, man könne Kinder vor solchen Themen abschotten“, erklärt Peggy Puhl-Regler. „Selbst kleine Kinder spüren, wenn Mama und Papa Sorgen haben.“ Sei es am Spielplatz, in der Schule, in der Bahnhofshalle – Kinder kämen zudem mit medialen Bildern und Informationen aus dem Krieg in Kontakt. Wer seinen Kindern echte Sicherheit vermitteln möchte, sollte Nachfragen nicht abwiegeln, sondern ernst nehmen, betont Pädagogin Puhl-Regler. Im Dialog mit Kindern gelte der Grundsatz: Es muss nicht alles gesagt werden, aber das, was gesagt wird, soll wahr sein. „Kinder haben einen guten Schutzmechanismus, sie fragen nur so viel, wie sie gerade als Antwort vertragen. Das sollten wir Erwachsenen unbedingt beachten und sie nicht mit ungefragten Informationen überfordern“, ergänzt Alexandra Hoff-Ressel. 

Die wohl schwerste Frage, der sich Soldatinnen und Soldaten stellen müssen, ist „Kannst du im Einsatz sterben?“ Hierfür gibt das ZFG-Team eine ausführliche Anleitung an die Hand, die ebenfalls auf dem Grundsatz der Ehrlichkeit basiert. „Die Angst muss unbedingt ernst genommen werden, ich kann aber den Fokus auf das lenken, was ich steuern kann und sagen: Ich bin gut vorbereitet und passe sehr gut auf mich auf. Zudem bin nicht allein, denn mit meinen Kameraden und Kameradinnen passen wir gegenseitig auf uns auf.  Und ich werde alles dafür tun, um wieder gesund zu Dir heimzukommen“, sagt Peter Wendl. Diese ehrliche Einordnung verleihe den Kindern wichtige Sicherheit, ohne eine absolute Sicherheit vorzugaukeln.

Entstanden ist die Broschüre im Rahmen einer Kooperation mit der Katholischen Militärseelsorge. Sie steht in einer Reihe von Materialien, die das ZFG seit über 25 Jahren entwickelt, immer mit dem Ziel, Soldatenfamilien zu stärken. Doch in der aktuellen Situation gehe es um noch mehr, wie Wendl unterstreicht: „Wir sollten einen Raum schaffen, wo Ängste ausgesprochen werden dürfen und wo wir uns bestärken, dass wir diese herausfordernde Zeit miteinander bewältigen – als Mama, als Papa, als Soldatenfamilie, aber definitiv auch als gesamte Gesellschaft.“ 

Die Broschüre „Soldatenfamilien in der Zeitenwende“ ist ab sofort in gedruckter Form über die Katholischen Militärpfarrämter erhältlich und hier online verfügbar