Das Netzwerk Migrations- und Fluchtforschung Bayern (NeMiF) war ein transdisziplinäres Netzwerk von Wissenschaftler:innen, das von 2018 bis 2024 bestand und dessen Mitglieder zu allen Formen der Migration sowie zu Fluchtursachen und -folgen forschen. Es verstand sich als ergänzende Institution zu bestehenden Aktivitäten und Kooperationsformaten wie etwa dem Netzwerk Fluchtforschung und war insbesondere als regionales Netzwerk tätig, da derartige Initiativen in Bayern bislang fehlten. Der Aufbau des Netzwerkes wurde vom 2016 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt gegründeten Zentrum Flucht und Migration geleistet.
Zu den Aktivitäten gehörten regelmäßige Treffen und Öffentlichkeitsarbeit. Das Netzwerk richtete zudem mehrere Forschungscluster ein, in denen Migrations- und Fluchtfragen intensiv erforscht werden sollten. Die Themen des Netzwerkes orientierten sich an den weltweiten Geschehnissen zu Migration und Flucht und ihrem Bezug zu Deutschland.
Ziele des NeMiF:
Auftakttreffen interessierter Wissenschaftler:innen aus Bayern und Süddeutschland, bei dem man gemeinsam den Entschluss fasste, ein Netzwerk zu gründen.
Das ZFM nutzte das zweite Treffen des NeMiF, um die Teilnehmer:innen über den „Eichstätter Aufruf zu Achtsamkeit, Respekt und Wahrhaftigkeit beim Thema Flucht und Migration“ zu informieren und um Unterstützung zu bitten. Vorgestellt wurde der Eichstätter Aufruf bei der Konstituierung des neuen Netzwerks „Migrations- und Fluchtforschung Bayern“, an der rund 30 namhafte Forscher:innen von bayerischen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in der vergangenen Woche auf Einladung des ZFM teilnahmen.
Die Mehrheit der Anwesenden unterstützte den Aufruf, der insbesondere die Eliten in Politik, Wissenschaft, Medien und Journalismus auffordert, sich ihrer Verantwortung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Gemeinwohl bewusst zu werden. Dazu sei eine erhöhte Achtsamkeit bei der Wahl der Worte ebenso notwendig wie Wahrhaftigkeit im gesellschaftlichen Diskurs. Im Mittelpunkt des Aufrufs steht die Forderung nach gegenseitigem Respekt aller in Deutschland lebenden und hier ankommenden Menschen.
Die Unterzeichner:innen beobachteten mit großer Sorge, dass „in Politik, Medien, Journalismus und auf den digitalen Kommunikationsplattformen populistische Kommunikationsstrategien, respektloses Handeln und verkürzte, täuschende oder schlicht gelogene Aussagen“ zunehmen – nicht nur in den extremen Randbereichen, sondern in der Mitte der Gesellschaft. „Dies sind keine singulären Ereignisse. Hier werden gesellschaftliche Entwicklungen erkennbar, bei denen politische Ziele mit nationalstaatlicher Einhegung und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit verbunden werden. Dazu werden latent vorhandene Ressentiments strategisch wachgerufen, angesprochen und verstärkt“, heißt es im Aufruf. Nachvollziehbare Ängste und Fragen der Bevölkerung würden nicht ernstgenommen, sondern instrumentalisiert. Der Eichstätter Aufruf fordert daher alle gesellschaftlichen Mitglieder, insbesondere aber die Eliten in Politik, Wissenschaft, Medien und Journalismus auf, sich ihrer Verantwortung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Gemeinwohl bewusst zu werden.
Den gesamten Aufruf finden Sie hier.
Das Netzwerk Migrations- und Fluchtforschung Bayern (NeMiF) veranstaltete am 12. Juli 2019 den ersten NeMiF-Tag an der Katholischen Universität Eichstätt-In-
golstadt. Wissenschaftler:innen – vornehmlich aus Bayern – präsentierten und diskutierten erstmalig ihre aktuellen Forschungsaktivitäten.
Das ZFM hatte mit einem Call for Papers dazu aufgerufen, sich mit Einreichungen für die unterschiedlichen Forschungscluster des NeMiF sowie für themenoffene Sessions an dieser ersten gemeinsamen Tagung zu beteiligen. In vier Panels wurden historische und psychologische Zugänge zur Flucht- und Migrationsforschung, das Themenfeld Medien, Öffentlichkeit und Migration sowie Integration und Partizipation in postmigrantischen Gesellschaften diskutiert. Das ZFM beteiligte sich mit einem Vortrag zum medialen Diskurs über Geflüchtete aus Sicht der Bevölkerung, in welchem die Ergebnisse einer repräsentativen Online-Befragung zum Verhältnis von Medienkonsum und bestehenden Einstellungen gegenüber Geflohenen vorgestellt wurden.
Am 29. Oktober 2020 fand der zweite NeMiF-Tag des Netzwerks Migrations- und Fluchtforschung Bayern in digitaler Form statt.
Ziel der Veranstaltung war es, aktuellen Forschungsprojekten aus dem Bereich Flucht und Migration eine Plattform zu bieten und Forschende ins Gespräch zu bringen sowie weiter zu vernetzen. Dazu fanden ein Runder Tisch, eine Table Session sowie zwei Panels statt. Zu den Teilnehmenden zählten vornehmlich Wissenschaftler:innen aus Bayern und Österreich.
Das ZFM hatte im Vorfeld mit einem Call for Papers dazu aufgerufen, sich mit Beitragsvorschlägen zum Thema „On the Move: Migration, Mobilität, Mobilisierung“ zu beteiligen. Das gewählte Thema weitet die Perspektive auf Migration und rahmt diese als eine von vielen Formen, Mobilität zu verstehen. In diesem Denken wird die Handlungsmacht des Subjekts betont. Außerdem soll Migration als räumliche Mobilität in ihrer engen Verwobenheit mit sozialer und Alltagsmobilität dargestellt werden, womit Teilhabe- und Zugehörigkeitsprozesse stärker in den Blick kommen. Die Operationalisierung von Migration über das Konzept der Mobilität erlaubt es nicht zuletzt auch, in gleichem Maße über das multikausale Zusammenwirken freiwilliger und unfreiwilliger Mobilität sowie Immobilität nachzudenken und diese in ihrer Einbettung in sozialräumliche Kontexte zu betrachten.
In zwei Panels, einem Round Table und einer Table Session wurden (kunst-)historische, (sozial-)pädagogische, soziologische, kommunikationswissenschaftliche, (human-)geographische und psychologische Zugänge und Forschungsprojekte zur Flucht- und Migrationsforschung diskutiert. Der Runde Tisch zum Thema Mobilität als menschliche Handlungspraxis: Perspektiven aus dem ZFM bildete den Auftakt der Veranstaltung. Im Rahmen der beiden Panels fand ein Austausch zu den Themen Mobilität, Agency und Identität in lokalen Kontexten sowie Strategien und Ressourcen zur Bewältigung von Fremdheitserfahrungen statt. Bei der Table Session befassten sich die Teilnehmenden mit dem Thema Art on the Move: Dialog jenseits globaler Machtgefälle in der Gegenwartskunst.
Die dritte Tagung des Netzwerks Migrations- und Fluchtforschung Bayern (NeMiF) widmete sich dem Thema „Kritisch reflektiert | Kontrovers debattiert: Begriffe und Zugänge der Migrationsforschung“.
In einer einführenden Keynote, einer Fishbowl-Diskussion sowie zwei Roundtables wurde interaktiv über methodische Herausforderungen im Forschungsfeld Flucht und Migration reflektiert sowie die Entwicklungslinien und Kontroversen um die Begriffe „Intersektionalität“ und „Rassismus“ diskutiert. Das Programm finden Sie hier.
Bei der Fishbowl-Diskussion hatten insbesondere Nachwuchswissenschaftler:innen die Möglichkeit, über aktuelle Fragen des Feldzugangs oder die Auswahl und Anwendung von Methoden bei ihren laufenden oder geplanten Forschungsvorhaben mit den eingeladenen Referent:innen ins Gespräch zu kommen.
Bei folgenden Referent:innen möchten wir uns für die Beiträge und Diskussionen bedanken:
Bereits zum vierten Mal hat das Netzwerk Migrations- und Fluchtforschung Bayern Anfang Dezember 2022 zu ihrem NeMiF-Tag eingeladen. Während die Veranstaltung in der Vergangenheit im Tagungsformat stattfand, haben sich die Organisatorinnen in diesem Jahr dafür entschieden, ein inhaltliches Angebot für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu konzipieren. Der digitale Methoden-Workshop richtete sich also speziell an diejenigen Angehörigen des Netzwerks, die sich noch in ihrer Qualifikationsphase befanden.
Überwiegend junge Nachwuchswissenschaftler:innen hatten im Rahmen des jährlichen NeMiF-Treffens, das in diesem Jahr erneut vom ZFM finanziell unterstützt wurde, die Möglichkeit, ihre Kenntnisse in der qualitativen Sozialforschung zu vertiefen. Mit Prof. Sina Mareen Köhler und ihrer Kollegin, Dr. Yağmur Mengilli, von der Universität Hildesheim konnten zwei erfahrene Referentinnen gewonnen werden, die den 14 Teilnehmenden die Grundlagen, Anwendung und Besonderheiten der Dokumentarischen Methode vermittelten. Ein besonderer Fokus lag im Workshop auf empirischem Material, das aus Gruppendiskussionen und biographischen Interviews gewonnen wurde, da dieses sich besonders gut für eine Auswertung mit dieser Methode eignen.
Bei der Dokumentarischen Methode handelt es sich um ein rekonstruktives Verfahren, das über den manifesten Inhalt eines Interviews oder einer Gruppendiskussion interpretativ auch nach Diskursverläufen und implizit geteilten Orientierungsmustern sucht. Insbesondere der Workshop-Nachmittag bot den Teilnehmenden die Möglichkeit, über konkrete und aktuelle Problemstellungen in ihren Qualifizierungsarbeiten ins Gespräch zu kommen und an einem Beispieltranskript die Methode selbst anzuwenden. Außerdem konnten zum Beispiel Fragen zum Feldzugang oder zur Auswahl und Durchführung der Dokumentarischen Methode in laufenden oder geplanten Forschungsvorhaben geklärt werden.
Einen Bericht zur Veranstaltung finden Sie hier.
Rahmenverständnis des Clusters
Der Schwerpunkt „Fluchtkontext, Fluchtursachenforschung“ des Netzwerks Migrations- und Fluchtforschung Bayern (NeMiF) bringt Forschungsprojekte und -vorhaben verschiedener sozial- und kulturwissenschaftlicher Disziplinen zueinander, die Migration nicht nur im Ankunftskontext, sondern (auch) im Kontext ihres Entstehens und ihres Verlaufes untersuchen. In der Alltagspraxis der Flüchtlingsarbeit (Unterbringung und Betreuung, Bildung und Beratung u.a.) ebenso wie in der integrationsorientierten Migrationsforschung im Ankunftsland fehlt häufig substantielles Wissen zu Herkunftskontext, Fluchtbedingungen und Migrationsverlauf. Ein rudimentäres Verständnis davon muss – auch wegen der sehr verschiedenen Herkunftsländer – oft ausreichen, bestärkt aber auch essentialistische Vorstellungen nationaler Herkunftskultur. Die Kenntnis des Herkunftskontextes, der Fluchtumstände und -motivation erlaubt sehr viel tiefere, detaillierte und vor allem differenzierende Einsichten, die über unzulängliche Generalisierungen hinausgehen und für eine valide wissenschaftliche Einschätzung wie auch für einen praktischen Berufsalltag in der Flüchtlingsarbeit eigentlich unerlässlich sind.
Zählt im Asylverfahren in europäischen Ankunftsländern in erster Linie die unmittelbare Landesflucht, die individueller, im weiteren Sinne politischer Verfolgung geschuldet sein muss, so gestalten sich auch anschließende Migrationsetappen, die mitunter Jahre dauern können, als prägend. Es ist zu erwarten, dass hier gemachte Erfahrungen – Diskriminierung, Ausbeutung, Bedrohung, Gewalterfahrungen, Armut, Ungewißheit und Perspektivlosigkeit über lange Warteperioden hinweg etc. – im Denken, Handeln und Fühlen Betroffener auch nach Ankunft eine Rolle spielen werden. Eine pragmatische Fluchterzählung mag diese jedoch zugunsten ursprünglich asylrelevanter Gründe zurückstellen. Da ein Erinnern nach Ankunft auch nicht unbedingt im Interesse Betroffener sein muss, besteht die Gefahr, die Migration zwischen Herkunfts- und Ankunftsland als eindrückliche und nachwirkende Lernperiode unterzubewerten. In der Migration gelerntes Handeln – Misstrauen gegenüber nationalen Behörden und internationalen Agenturen, Vertrauen in informelles Handeln oder auch ein Alltag ohne Schule und elterliche Bevormundung bei Minderjährigen – wird vielleicht als grundlegende Herkunftskultur und zivilisatorische Unterentwicklung unterstellt. Etwaige Traumatisierungen und fortdauernde Belastungen, für die tatsächlich Möglichkeiten der Abhilfe bestünden, bleiben leichter unerkannt. Gleichermaßen kann eine Migrationsmotivation, die nicht nur die unmittelbare Landesflucht, sondern auch die Konzeption eines besseren Lebens anderenorts umfasst, nicht einfach behauptet werden, sondern muss in empirischer Forschung und mit Blick auf kulturelle Vorstellungswelten, transnationale Bezüge und Kommunikation, politische Entwicklungen und deren Wahrnehmung erschlossen werden. Alleine über individuelle Fluchterzählung und zugeordnete Kategorien von Herkunftsland, Geschlecht, Alter und Bildungsgrad wird dies kaum zu leisten sein.
In unserem Verständnis bilden Migration, Flucht und Ankunft eine übergreifende Gesamtstruktur, die regional weit über EU hinausgeht und Migrierende und Flüchtende in dieser gleichermaßen volatilen wie politisch aushärtenden Gesamtstruktur situiert. Sozialisation im Herkunftskontext, Fluchterfahrung und diasporische Einwebung erzeugen schließlich Handlungsdispositive, die in ein Leben nach Ankunft hineinreichen werden.
Das Cluster strebt Forschungsprojekte, Förderungen und Publikationen an, die diesen Zusammenhang zum Thema nehmen.
Clustersprecher: Prof. Dr. Magnus Treiber
Rahmenverständnis des Clusters
Deutschland entwickelt sich zu einer Migrationsgesellschaft und steht vor der Herausforderung, Bedingungen und Prozesse des Zusammenhalts neu zu denken und zu steuern. Dabei geht es um die Ausrichtung sozialer Beziehungen, die Bildung gegenseitigen Vertrauens und die Akzeptanz von multidimensionaler Verschiedenheit. Wie kann eine Vielzahl von Menschen sich mit dem Gemeinwesen verbunden fühlen, Verantwortung übernehmen und den gesellschaftlichen Wandel sowie soziale Regeln mitgestalten? Wie begründen sich Gemeinwohlorientierung, Gerechtigkeitssinn und Solidarität in der derzeitigen „neosozialen“, nicht nachhaltigen Gesellschaft, die Eigennutz belohnt und stetig neue wirtschaftliche, soziale und ökologische Ungleichheiten erzeugt? Wie können Lebensqualität und Lebenszufriedenheit für möglichst viele Bürgerinnen und Bürger unterschiedlicher Herkunft gewährleistet werden?
Es gilt, die überwiegend normativ und ideologisch geführten Integrationsdebatten kritisch zu hinterfragen und die Vorstellung zu überwinden, migrierende Personen müssten sich in die „Leitkultur“ eines homogen gedachten Kollektivs einpassen. Auch die etablierten Formen der Einbindung von Geflüchteten und MigrantInnen in Bildung, Erwerbsarbeit und Wohnen sind kaum ausreichend, um Inklusion und Teilhabe zu erreichen.
Es ist vielmehr notwendig, von der Normalität migrationsbedingter Heterogenität auszugehen und über das inklusive und transformative Potential von Migrationsgesellschaften nachzudenken. Welches könnten die reflexiven Inklusions- und Diversitätsstrategien sein, die der multidimensionalen Diversität von Migrationsgesellschaften gerecht werden? Wie kann eine offene Gesellschaft ihr Selbstbild verändern und Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die vielfach ungleichen Ausgangsbedingungen und Ressourcen respektiert und ausgeglichen werden? Welche Bündnis- und Kooperationsformen sowie emanzipatorisch-transformative Akteursfigurationen haben sich in den letzten 10 Jahren bereits entwickelt und wie wandeln sich zivilgesellschaftliche Strukturen und Prozesse im Hinblick auf einen migrationsgesellschaftlichen Zusammenhalt?
Diesen und weiteren Fragen gilt es in diesem Forschungscluster nachzugehen. Die Perspektiven können dabei so unterschiedlich sein wie die Disziplinen, die sich mit solchen Themen befassen.
Clustersprecher: Prof. Dr. Gerd Mutz
Rahmenverständnis des Clusters
Berichterstattung, die vor allem auf Frames und Narrative reagiert (Asyltourismus, Anti-Abschiebe-Industrie, Flüchtlingswellen); soziale Netzwerke, die zu beherrschenden Informationsgebern werden, und die gleichzeitig strategisch für Interessenkommunikation eingesetzt werden können: Der Strukturwandel der Öffentlichkeiten führt dazu, dass auch Fragen rund um Medien und die Netzwerkplattformen hoch virulent werden für die Bewertung dessen, was in der Gesellschaft über Flucht und Migration gedacht, gesagt und geurteilt wird.
Diesen Komplex will sich das Forschungscluster widmen. Dabei stehen aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive neben den Medien der Berichterstattung auch die digitalen Plattformen (Facebook, Twitter, Youtube, etc.) im Fokus. Zudem soll eine gesellschaftswissenschaftliche Sichtweise Sorge dafür tragen, dass eine ethische Komponente berücksichtigt wird und dass Schlüsselkonzepte wie Gemeinwohl, Zusammenhalt und Verantwortung in ihrer medialen Repräsentation untersucht werden.
Beispiele aus dem weiten Feld der kommunikationswissenschaftlichen Forschung, die in diesem Forschungscluster aufgegriffen werden können:
Clustersprecher: Prof. Dr. Klaus-Dieter Altmeppen & Dr. Tanja Evers