Im Sommersemester 2021 begab sich das Zentrum Flucht und Migration wieder „in Gesellschaft“ und veranstaltete eine interdisziplinäre namhaft besetzte Vortragsreihe mit dem Titel „Grenzen in Bewegung“.
Soziale und kulturelle Grenzziehungen führen zu Ein- und Ausschlüssen, schaffen oder verwehren Zugehörigkeit. Deutlich wurde in den Vorträgen aber auch: Sie sind Gegenstand gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse. Mehrere hundert Zuhörer*innen nutzten das Online-Angebot, um sich mit aktuellen Fragen auseinanderzusetzen.
Den Auftakt machte Prof. Dr. Albert Scherr aus Freiburg mit einem Vortrag zu Diskriminierung im Kontext von Flucht. Er analysierte und differenzierte verschiedene Formen von Diskriminierung. Auf Basis seiner empirischen Forschungen skizzierte er die unterschiedlichen Erfahrungen und Umgehensweisen mit Diskriminierung von Rassismusbetroffenen, u.a. Geflüchteten, Rom:nja und Sinti:zze. Er plädierte für eine begrifflichen Differenzierung: Gerade Staatsbürgerschaft sei als Konstrukt zentral für die Analyse von Diskriminierungserfahrungen; da wesentliche Benachteiligungen mit Nationalität und Aufenthaltstiteln verbunden sind. Diese These machte er an (menschen-)rechtlichen Diskursen fest.
Prof. Dr. Irene Götz von der Ludwig-Maximilians-Universität München blickte zurück auf Strömungen, die in Deutschland im 21. Jahrhundert symbolisch Bezug nahmen auf Nation und Nationalität. Anhand von Beispielen zeigte sie auf, wie Staatsangehörigkeit und Zugehörigkeit teilweise exklusiv als Abstammungsgemeinschaft (ethnos), teilweise auf Basis eines liberalen Verständnisses staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten (demos) verhandelt wurden. In der anschließenden Diskussion ging es um Wege der Anerkennung und Repräsentation von Milieus, die sich durch ökonomischen und kulturellen Wandel als „abgehängt“ wahrnehmen und in Nationalismus eine vermeintliche Lösung sähen.
Prof. Dr. Regina Römhild von der Humboldt-Universität zu Berlin skizzierte ein alternatives Forschungsprogramm kritischer Migrationsforschung, welches an die Kritik des Labors Migration anschließt. Zu oft beteilige sich Migrationsforschung an der Konstruktion von Bildern der „Anderen“. Damit Migration „vom Rand ins Zentrum“ gelange, forderte sie, im Forschungsprozess die Perspektive der Migration einzunehmen. Migrationsforschung solle sich als Gesellschaftsforschung verstehen. Mit Researching-up, dem Untersuchen von Institutionen in den Zentren der Gesellschaft, könne ein Beitrag zur Sichtbarmachung von Migration und Diversität als Normalität geleistet werden. Das zeigte sie beispielhaft anhand der postkolonialen Diskussionen um Straßenumbenennung und der Biografie des Aufklärungs-Philosophen Anton Wilhelm Amo auf.
Der Leiter des Jüdischen Museums Hohenems, Dr. Hanno Loewy, leistete einen historischen Überblick über Konflikte um (jüdische) Emanzipation und Antisemitismus. Analytisch trennte er in seinen Ausführungen verschiedene Konfliktlinien: Konkurrenzen zwischen den monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam seien bereits in deren Entstehung und Geltungsanspruch angelegt. Mit dem Aufkommen der Nationalstaaten sahen sich jüdische Menschen sowohl einem erstarkenden Antisemitismus als auch einer sich demokratisch-säkular gerierenden Assimilationsforderung ausgesetzt. Durch die Staatsgründung Israels trat ein innerjüdischer Deutungskonflikt zwischen einer israelbezogenen und einer diasporischen Perspektive hinzu.
Prof. Dr. Andrea Geier aus Trier schärfte den Blick für problematische Aspekte „gut gemeinter“ Bildungsangebote bei der Thematisierung von Rassismus oder islamistischer Radikalisierung. Kritisch beleuchtete sie, wie die Debatte um Identitätspolitik mitunter ereignisferne oder gar wahnhafte Züge trägt. Damit würden begrenzte Aufmerksamkeitsressourcen von tatsächlich weniger repräsentierten Gruppen abgezogen. Andrea Geier appellierte dafür, immer das Konkrete zu betrachten und zu bewerten. Dann werde auch erkennbar und benennbar, wer wirklich in welcher Situation ausgeschlossen werde.
Wir danken allen Vortragenden für Ihre bereichernden Beiträge und hoffen auf ein baldiges Wiedersehen vor Ort in Eichstätt!