Fachgebiet: Deutsche Sprachwissenschaft
Betreuer: Prof. Dr. Sebastian Kürschner
Abstract:
Mit dem angestrebten Dissertationsvorhaben soll im Bereich der Verstehbarkeitsforschung ein Beitrag zur Untersuchung der historischen Sprachstufen des Deutschen geleistet werden. Ziel ist es, das spontane Verstehen des Althochdeutschen (ca. 750-1050 n. Chr.), des Mittelhochdeutschen (ca. 1050-1350 n. Chr.) und des Frühneuhochdeutschen (ca. 1350-1650 n. Chr.) aus der Perspektive der Gegenwartssprache zu untersuchen.
Hintergrund der Untersuchung ist, dass unser gegenwärtiges Deutsch mit seinen historischen Sprachstufen einige Gemeinsamkeiten teilt, aber auch beträchtliche Unterschiede aufweist. Das Bemerkenswerte daran ist, dass wir über Sprachverarbeitungskapazitäten verfügen, die es uns ermöglichen, bis zu einem bestimmten Grad solche Unterschiede im Sprachsystem spontan zu verarbeiten. Das hat zur Folge, dass wir (einige) historische Wörter häufig entschlüsseln und verstehen können, ohne auf linguistische oder andere fachspezifische Kenntnisse angewiesen zu sein. Der Verstehensprozess läuft dabei so ab, dass ein Zusammenhang zwischen dem zu erschließenden historischen Wort und einem bekannten (im mentalen Lexikon abgespeicherten) Wort hergestellt wird. Das funktioniert bei einigen Wörtern sehr gut und schnell (vgl. ahd. hôren > mhd. hœren > frnhd. hören ‚hören‘), bei anderen treten hingegen vermehrt Schwierigkeiten auf (vgl. ahd. frouwa > mhd. vrouwe > frnhd. frau ‚(edle) Dame, Herrin, Ehefrau‘) – aus unterschiedlichen Gründen. Das Verstehen einzelner Wörter beeinflusst dann wiederum das Verstehen ganzer Sätze oder Texte.
Ziel der Untersuchung ist es an dieser Stelle mithilfe empirischer Methoden herauszufinden, von welchen sprachlichen Merkmalen und Faktoren ein gelingender Verstehensprozess abhängt und wie hoch die Verstehbarkeit des Althochdeutschen, Mittelhochdeutschen und Frühneuhochdeutschen im Vergleich ausfällt.
Um diese Forschungsfragen zu beantworten, soll ein Online-Experiment durchgeführt werden, das die spontane Verstehbarkeit der einzelnen historischen Sprachstufen testet. Das Experiment berücksichtigt dabei sowohl Wort- als auch Textebene, indem Proband/-innen einzelne Wörter sowie ganze Texte entschlüsseln (und verstehen) sollen.