Leo XIV. – so heißt der neue Papst, den die Kardinäle im vierten Wahlgang gewählt haben. Wer ist Robert Francis Prevost? Wie sind sein erster Auftritt und seine Einführungsworte zu bewerten? Prof. Rafael M. Rieger OFM spricht über erste Beobachtungen.
Was für ein Mensch Robert Francis Prevost ist, weiß ich nicht. Ich bin ihm bislang noch nie begegnet. In den Jahren 2010 bis 2015, als ich am Heiligen Stuhl tätig war, kam es zu einigen Begegnungen mit den Präfekten anderer Dikasterien. So erinnere ich mich noch an ein Mittagessen, wo ich neben Kardinal Giovanni Baptista Re saß. Seit ich in Eichstätt bin, habe ich die Personalentwicklung an der Römischen Kurie aber nicht mehr verfolgt. Daher wusste ich bis zum Abend des 8. Mai nicht, dass Robert Francis Prevost seit 2023 Präfekt des Dikasteriums für die Bischöfe war.
Robert Francis Prevost: ein Mann mit langjähriger Leitungserfahrung, als Ordensoberer, als Diözesanbischof und zuletzt als Leiter der Kurialbehörde, die „für alle Angelegenheiten zuständig [ist], die die Errichtung und Besetzung von Teilkirchen und die Ausübung des Bischofsamtes in der lateinischen Kirche betreffen“ (Art. 103 PE).
Der neue Papst gehört dem Augustinerorden an, dem vierten der großen Bettelorden des Hochmittelalters, nach den Franziskanern, den Dominikanern und den Karmeliten. Da seit dem IV. Laterankonzil (1215) an sich die Gründung von neuen Orden verboten war, übernahm die Gruppe von Eremiten, aus der später der Orden der Augustiner-Eremiten hervorging, die Regel, die auf den Kirchenvater Augustinus von Hippo († 430) zurückgeht. Die Augustinusregel eignete sich dafür sehr gut, da sie nicht sehr umfangreich ist und viele praktische Fragen offenlässt. Den Augustinern (Ordo Sancti Augustini [OSA]; bis 1963 Augustiner-Eremiten [OESA]) fehlt eine zentrale Gründergestalt. Die Übernahme der Augustinusregel führte daher dazu, dass man in dieser Gemeinschaft den Heiligen Augustinus als Ordenspatron erwählte und bis heute die Theologie des Kirchenvaters besonders beachtet. Wie die anderen Bettelorden haben die Augustiner eine Verfassung mit deutlich demokratischen Elementen: Alle Ordensbrüder, Kleriker und Laien, haben grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten in der Gemeinschaft. Mindestens einmal im Monat kommen alle Brüder eines Konventes zum Hauskapitel zusammen, um über anstehende Fragen zu beraten und zu entscheiden. Die einzelnen Häuser sind zu Provinzen zusammengeschlossen, in denen alle vier Jahre Provinzkapitel abgehalten werden, zu denen die einzelnen Klöster Vertreter schicken. Außerdem gibt es alle sechs Jahre ein Generalkapitel, zu dem wiederum alle Provinzen Vertreter entsenden. Der Leiter des Gesamtordens, der Generalprior, wird von diesem Generalkapitel gewählt. Von 2001 bis 2013 war Robert Francis Prevost Generalprior. Bemerkenswert ist, dass die Wahl des Generalpriors aufgrund eines alten Privilegs keiner Bestätigung durch den Apostolischen Stuhl bedarf (OSA Cons. 431).
Robert Francis Prevost hat am Angelicum, der Dominikanerhochschule in Rom, Kirchenrecht studiert. 1987 wurde er dort mit einer Arbeit zur Rolle des Lokaloberen im Augustinerorden zum Doktor des kanonischen Rechts promoviert.
Was haben wir also von diesem Mann zu erwarten, der nun als Papst Leo XIV., als 267. Bischof von Rom, „Haupt des Bischofskollegiums, Stellvertreter Christi und Hirte der Gesamtkirche hier auf Erden“ ist? – Gemäß der Kirchenverfassung verfügt der Papst „kraft seines Amtes in der Kirche über höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer frei ausüben kann“ (can. 331 CIC). Daher wäre theoretisch Vieles denkbar. Die ersten Gesten und Worte des neuen Papstes lassen aber auf keine bevorstehende „Revolution von oben“ schließen. Sicherlich wird er die Forderung des Heiligen Augustinus, dass die Kirche „semper reformanda“, ständig sich erneuernd sein sollte, ernst nehmen. Vielleicht gelingt es ihm, das, was Papst Franziskus mit seinem charismatischen, zuweilen auch etwas chaotischen Naturell im Hinblick auf die Kirchenverfassung angestoßen hat, dauerhaft in solide kirchliche Rechtsnormen zu überführen. „Dezentralisierung“ und „Synodalität“ sind hier die entscheidenden Stichworte.
Im Übrigen sei an das erinnert, was ich 2018 in einem kleinen Beitrag für die Lebendige Seelsorge unter dem Titel „Scherze des Heiligen Geistes“ zu Papst Franziskus, dem Kirchenrecht und der Kurie geschrieben habe: „Gottes Geist lässt sich von niemandem vorschreiben, wo und wie Er innerhalb und außerhalb der Kirche wirkt. Vielleicht sollten wir, bei aller notwendigen Reflexion und (Selbst-)Kritik, den ‚Scherzen des Heiligen Geistes‘ in Rom und andernorts tatsächlich mit mehr Humor und Gelassenheit begegnen.“ (Abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.15496/publikation-69442)