Forschungsseminar im Forschungsfeld III in Kooperation mit dem Forschungsfeld II
„Meine Arbeit ist ein Versuch, mit großer Traurigkeit die Tatsache der westlichen Kultur zu akzeptieren. […] Ich lebe außerdem in einem Gefühl größter Zwiespältigkeit. Ich komme nicht ohne Tradition aus, aber ich muss erkennen, dass ihre Institutionalisierung die Wurzel von etwas Bösem ist, das tiefer geht als alles Böse, das ich mit unbewaffnetem Auge und Geist erkennen könnte.“
Die Worte Ivan Illichs (1926-2002), Philosoph und Kulturwissenschaftler, katholischer Priester und Kritiker kirchlicher wie gesellschaftlicher Institutionen, Gelehrter und zugleich Skeptiker der Moderne, stehen exemplarisch für eine Position zwischen allen Stühlen. Zwischen den Welten des Glaubens und der Wissenschaft, globalem Norden und globalem Süden, westlichen Gesellschaften und den autochthonen Kulturen lebend, steht im Zentrum seines Denkens das Geheimnis der Inkarnation, das Wunder der Nähe zum anderen im Fleisch, das in überraschender Weise Zusammenleben und Freundschaft stiftet. Illichs Überlegungen, die ein ausgesprochen breites Themenspektrum von Theologie bis Technologiekritik, Kulturgeschichte bis Christologie, Pädagogik bis Psychologie betreffen und weitreichende, radikale Forderungen wie etwa die Abschaffung des westlichen Schulsystems (Deschooling Society), eine grundlegende Veränderung des Verständnisses von Gesundheit (Die Nemesis der Medizin; Was macht den Menschen krank?) oder eine der allerersten, quer zu den heutigen Konfliktlinien laufende Auseinandersetzung mit dem Thema Gender (1982) umfassen, bergen enorme Reflexionspotentiale für eine Theologie, die sich als integraler Teil der „westlichen Kultur“ zugleich mit Errungenschaften wie blinden Flecken, mit Chancen wie Deformationsdynamiken der Moderne auseinanderzusetzen hat – im Ringen darum, dem prophetischen Auftrag Jesu für die heutige Zeit gerecht zu werden.
Der Kurs ermöglicht eine textnahe Auseinandersetzung mit den „Letzten Gesprächen über Religion und Gesellschaft“, die der kanadische Journalist David Caley mit Ivan Illich zwischen 1997 und 2002 geführt und in Rücksprache mit ihm veröffentlicht hat. Über Referate und eingeladene Referentinnen und Referenten werden einzelne Themen seiner Kulturkritik und seines Verständnisses des Christentums vertieft, sodass der Kurs eine Auseinandersetzung mit Fragen der Zeit und mit dem Verständnis christlichen Glaubens wie westlicher Kultur ermöglicht. Das Wort „Corruptio optimi quae est pessima“ – die Korruption des Besten ist das Schlimmste – bildet ein Leitmotiv von Ivan Illichs Deutung der Geschichte, welche der Schönheit und Tragik des Christentums und seiner Wirkungsgeschichte in Kirche und westlicher Kultur nachgeht.
Termine jeweils montags 16.30-18.00 Uhr: 28.04.; 05.05.; 12.05.; 19.05.; 26.05.; 16.06.; 14.07.2025
Blockseminartag: Montag, 02.06.2025, 8.15 - 17.15 Uhr
u.a. mit Gastvorträgen von Silja Samerski, Anna Sjöberg, Silvana Kandel, Isabella Bruckner, Raúl Fornet Betancourt, Marianne Gronemeyer, Franz Tutzer
Kontaktpersonen: Prof. Dr. Martin Kirschner
Anmeldung für das Blockseminar bitte an: zrkg(at)ku.de