JProf. Dr. Nadin Burkhardt
Das Projekt dient der interdisziplinären Erforschung von Aufbau, Entwicklung und Nutzungsformen des Straßennetzes in der römischen Provinz Rätien. Es wird im Forschungskolleg „Dialogkulturen“ angesiedelt, weil Straßen in vielfältiger Weise Dialogräume waren.
Straßen bilden die physische Grundlage des interkulturellen Dialogs, denn sie verbanden Städte, Kastelle, Dörfer, Märkte und Heiligtümer und damit Menschen unterschiedlichster Herkunft: Einheimische wie Bauern und Handwerker, Soldaten aus verschiedenen Ecken des römischen Reichs, Verwaltungsbeamte, Händler aus dem Mittelmeerraum, wandernde Handwerker, Reisende und Pilger. Diese Vielfalt führte zwangsläufig zu Begegnung, Aushandlung, Übersetzungen – zu interkulturellem Dialog.
Straßenräume sind eine Bühne für soziale Begegnungen: Herbergen (Mansiones), Märkte, Zollstationen, Raststationen entlang der Straßen waren Treffpunkte. Hier kann die Rolle dieser Orte und ihrer Verbindung für sozialen Austausch im Sinne einer „Alltags-Dialogkultur“ in den Blick genommen werden.
Straßen sind auch Kommunikations- und Dialogräume. Sie ermöglichten nicht nur den Austausch von Nachrichten und Verwaltungsanweisungen, sondern förderten auch den Austausch von Ideen und Kenntnissen aller Art. Ein gut vernetztes Gebiet entwickelt sich anders als abgelegene Gegenden. Der Straßenraum läßt sich auf Ballungsgebiete, Verdichtungen und ‚Lücken‘ hin untersuchen. Formen der Kommunikation zwischen Peripherie und Zentrum, zwischen Militär und Provinzbevölkerung, zwischen Verwaltungszentrum und Rom lassen sich auch in der Entwicklung der Infrastruktur ablesen. Gerade in der Rolle des Militärs als Kulturträger treffen neues Wissen, neue religiöse Vorstellungen, Bilderwelten, Architekturen, Sprachen auf lokale Kulturen.
Projektaufbau
Der erste Projektabschnitt dient der Erforschung des Straßennetzes vor dem Hintergrund der Romanisierung in Hinblick auf räumliche Siedlungsverteilung in Relation zur regionalen Verkehrsinfrastruktur (Kleinraum) und deren überregionalen Anbindung. Militärstrategische und administrative Faktoren gehören ebenso dazu wie wirtschaftliche und soziale. Dem aktuellen, kaum differenzierten Bild zum römischen Straßennetz in Rätien wird das Projekt die Erforschung des konkreten Ortes entgegensetzen, indem die jeweiligen Kontexte analysiert, die lokalen Bedingungen und Voraussetzungen herausgearbeitet und die dynamischen Elemente der sozialen Umgebung erfaßt werden.
Vorarbeiten bestanden in einem fachübergreifenden Vorgespräch (2023), einem interdisziplinären Workshop (Januar 2024) und einer Straßengrabung in Rätien (2020). Für 2025 sind ein weiterer interdisziplinärer Workshop und eine zweite Straßengrabung angesetzt.
Das Projekt ist interdisziplinär angelegt; verschiedene Fachvertreter mit den ihnen eigenen Methoden sind involviert. Die Alte Geschichte kann auf ein umfangreiches vertieftes Wissen zu römischen Straßen, Inschriften im Straßenraum, Straßenkarten und Straßenrechtswesen zurückgreifen, sowie allgemein auf das Feld der Historischen Geographie. Die Archäologie bringt sich mit den Kenntnissen um den physischen Aufbau der römischen Straßen, speziell um die Straßenkonstruktion Rätiens im Spiegel der Ausgrabungen, und um die Anrainerbebauung und die Entwicklung innerhalb der römischen Provinzen Rätien ein. Außerdem ist die Unterstützung des Physischen Geographie von Bedeutung, mit der Fachexpertise für Geländeerfassung, digitaler Reliefanalyse, Vermessungs- und Kartierungsmethoden und der Visualisierung der Ergebnisse. Neue Aufnahmen, etwa durch LIDAR und andere Scanoptionen, einzelner Straßenabschnitte und Randbebauungen können ohne Grabung Rückschlüsse auf Erhaltung, Verläufe u.a. geben. Ertragreich sind vor allem Waldgebiete. Wichtige Kooperationspartner sind desweiteren das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege und regionale Institutionen wie das Zentrum Stadtgeschichte in Ingolstadt. Auch der reiche Wissensschatz der lokalen und regionalen historischen Vereine und deren Archive sind für die Bearbeitung von Bedeutung.
In dem zweiten Workshop, im Juli 2025 stehen nicht nur römische Straßenbefunde im Fokus, sondern auch das ältere Wegenetz und die spätere Weiternutzung (Stichwort: Altwege). Im Areal der späteren Provinz Raetien siedelten unterschiedliche Stämme, die als Raeti bezeichnet wurden. Im 6. Jh. v. Chr. finden wir mediterrane etruskische Einflüsse und ab dem 4. Jh. v. Chr. keltische. Römisch unterworfen wurden raetische Stämme zuerst im Alpenfeldzugs des Drusus und des Tiberius, bevor Mitte des 1. Jh. n. Chr. die römische Provinz Raetia et Vindelicia eingerichtet wurde. Die nördliche Provinzgrenze wurde bis zur Donau vorgeschoben, so daß eine Provinz von der Größe von ca. 80 000 km2 entstand. Wichtig war der militärisch-logistische Anschluß an Germanien. Raetien war eine Verkehrsprovinz. Besonders wichtig waren der Zugang zu den Pässen des mittleren Alpentals, der Verkehr nach Oberitalien und der Anschluß an die Nord-West-Hauptverbindungen durch das Alpenvorland und entlang der Donau. Der raetische Straßenraum verband Gallien mit dem Balkan, und ermöglichte damit den schnellen Transfer der Rhein- und Donauarmeen. Unmittelbar nach der Okkupation im frühen 1. Jh. begann die Erschließung durch Straßen.
Zu den Zielen gehört ein größeres Drittmittelprojekt, das sich den erarbeiteten Forschungsfragen aus den Workshops widmet und auf interdisziplinärer Basis den Straßenraum in Rätien erforscht.
Kontakt
JProf. Dr. Nadin Burkhardt
Professur für Klassische Archäologie
KU Eichstätt-Ingolstadt
Universitätsallee 1
85072 Eichstätt
Nadin.Burkhardt@ku.de