Zwischen-Räume als Räume des Dialogs im italo- und frankophonen Gegenwartsroman

Prof. Dr. Barbara Kuhn

«Zwischen-las-lenguas is where I stand» (Camille de Toledo)

Während die Forschung der vergangenen Jahrzehnte beim Blick auf post(-)koloniale Literaturen häufig die Frage des belonging, genauer, ein fraglich gewordenes belonging in den Fokus rückte, sei es im Sinne eines Mangels an oder eines Verlusts von Zugehörigkeit, sei es komplementär im Sinne einer Vervielfachung durch «mehrfache» oder «bewegte» Zugehörigkeiten, und in beiden Varianten vor allem das Moment der Instabilität, eben die Infragestellung hervorhob, richtet sich das hier verfolgte Forschungsinteresse, ohne derlei Infragestellungen zu negieren, vielmehr auf die Frage der Dialogizität in italienisch- und französischsprachigen Romanen und Erzählungen der Gegenwart (verstanden im wesentlichen als seit der Jahrtausendwende entstehende Texte, ohne dabei den Blick auf die Narrativik des ausgehenden 20. Jahrhunderts völlig auszuschließen).

Zeichnet sich der Roman grundsätzlich durch solche Dialogizität aus, wie insbesondere seit der späten Rezeption von Bachtins romanpoetologischen Arbeiten weitgehend als Konsens gelten kann, ist Ziel des Forschungsprojekts die Analyse dessen, was – noch recht allgemein – als Dialog von Kulturen bezeichnet werden soll. Dies schließt selbstverständlich die Frage der (Nicht-)Zugehörigkeit keineswegs aus, die sich etwa in der Wahrnehmung der diversen Facetten der Fremde, des Fremden und des Fremdseins im Sinne des Anthropologen Michel Agier und des Philosophen Bernhard Waldenfels manifestiert. Doch über die Frage der Zugehörigkeit(en) hinaus und weniger subjektzentriert scheint, wie die Lektüre narrativer Texte insbesondere des genannten Zeitraums nahelegt, dort das Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander kultureller Prägungen in vielfältigen Variationen ausbuchstabiert und ausagiert zu werden.

Im Rahmen des Projekts soll jener «Dialog von Kulturen» untersucht werden, der auf unterschiedlichsten Textebenen und in vielerlei Gestalt und Form den franko- und italophonen Gegenwartsroman kennzeichnet. Ausgangsthese ist dabei, daß in und mit den Texten gerade durch diesen Dialog produktive und eigenständige Zwischen-Räume entstehen, die weder harmonisierend verharmlost werden noch – entgegen der These von Leslie A. Adelson in ihrem Manifest Against Between – die Texte samt ihren Autorinnen und Autoren in einem Zwischen festschreiben, nie ankommen lassen sollen. Entsprechend kann als Ziel des Projekts – in aller Offenheit und hier provisorisch formuliert – gelten, diese Zwischen-Räume als durchaus konfliktreiche und widerständige, eben als eminent dialogische Räume neu zu lesen, neu lesbar zu machen.

 

Projektbezogene Publikationen:

«Aufbrechende Geschichten, Aufbrechen durch Geschichten – Das Meer, das Erzählen und die Erinnerung in Tu, mio von Erri de Luca und Tra due mari von Carmine Abate», in: Aufbrüche. Für Andreas Lob-Hüdepohl. Heiner Böttger / Gabriele Gien / Thomas Pittrof (Hg.). Eichstätt: Eichstaett Academic Press 2011, 227-245.

«‹Glückliches Babel». Vielsprachige Bilder oder: Vom Lob der Torheit, in vielen Zungen zu reden», in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 250.1 (2013), 85-111.

«‹Demain j’inviterai un nouveau ‘moi’›. Das Ich, sein Porträt und die Zeit in den Autoporträts von Bobin, Toussaint und NDiaye», in: Selbst-Bild und Selbst-Bilder. Autoporträt und Zeit in Literatur, Kunst und Philosophie. Hg. von Barbara Kuhn. Paderborn: Fink 2016, 335-361.

«‹La nostra casa la portiamo con noi›: zum Widerstreit von Diaspora und Heterotopie in Madre piccola von Cristina Ali Farah und La mia casa è dove sono von Igiaba Scego», in: Italienisch. Zeitschrift für italienische Sprache und Literatur 81 (2019), 51-81.

«Grenzgänge. Einleitende Überlegungen» [gemeinsam mit Ursula Winter], in: Grenzen. Annäherungen an einen transdisziplinären Gegenstand. Hg. von Barbara Kuhn / Ursula Winter. Würzburg: Königshausen & Neumann 2019, 7-30.

«Norm oder Hybridität – Hybridität als Norm? Einleitende Überlegungen» [gemeinsam mit Dietrich Scholler], in: Italienische Literatur im Spannungsfeld von Norm und Hybridität. Übergänge – Graduierungen – Aushandlungen. Hg. von Barbara Kuhn und Dietrich Scholler. Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2021, 7-26.

«Zwischen Räumen – zwischen Zeiten. Das italofrankophone Albanien in Romanen von Ornela Vorpsi», erscheint in: Letteratura come ponte? Littérature comme pont? Literatur als Brücke? Migrazione e letteratura – Literatur und Migration. A cura di / Hg. von Barbara Kuhn und Marita Liebermann. Roma: Viella, voraussichtlich 2022.