Immer noch ist es für Personen mit Behinderungen schwierig, aus dem geschützten Arbeitsmarkt der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) zu einer Beschäftigung in Regelunternehmen zu wechseln, selbst wenn die persönlichen Voraussetzungen, Fähigkeiten und die nötige Motivation für diese Veränderung gegeben sind. Im Zuge einer verbesserten inklusiven Entwicklung von individuellen Beschäftigungsbiographien setzen verschiedene Förderprogramme genau hier an. Eine prominente Initiative auf Bundesebene ist seit 2018 das Budget für Arbeit (BfA). Das im Bundesteilhabegesetz verankerte BfA soll die Beschäftigung von Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durch zwei Unterstützungsmaßnahmen fördern: Zum einen durch Lohnkostenzuschuss an den Arbeitgeber als „Ausgleich von Leistungsminderung“ der Beschäftigten, zum anderen durch Unterstützung und Begleitung am Arbeitsplatz, die den betroffenen Personen zur individuellen Eingliederung in Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes zur Verfügung gestellt wird. Doch das Angebot wurde bislang nur sehr zögerlich wahrgenommen. Als Teil eines Verbundes untersucht Prof. em. Dr. Joachim Thomas, emeritierter Inhaber der Professur für Psychologische Diagnostik und Intervention, in dem Projekt „BfA Gelingt“ – Gelingensbedingungen der Inanspruchnahme gestalten und teilen“, welche Faktoren zum Gelingen des Budgets für Arbeit beitragen. Gefördert wird das Projekt vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen an der KU sind Dr. Regina Weißmann, Dr. Regina Schmid, Burcu Köse und Christiane Bartosch. Zielsetzung des Projektes ist neben der Analyse von Förder- und Hemmfaktoren auch, exemplarisch Verbesserungen der Übergänge in den ersten Arbeitsmarkt zu erzielen und damit aufzuzeigen, wie die Bedingungen für eine stärkere Inanspruchnahme des BfA und damit auch der beruflichen Inklusion zu erreichen sind.
„Durch die Positionierung als Kundin bzw. Kunde werden die Betroffenen zu handelnden Personen im Prozess der Arbeitssuche. Damit soll der bisherige, sehr theoretische Weg, über die Werkstätte für behinderte Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu wechseln, systematisch ergänzt werden“, schildert Projektmitarbeiterin Christiane Bartosch. Im BfA bilden unter anderem die Werkstätten, Integrationsfachdienste, Betriebe und vor allem die betroffene Person selbst ein Team, um den erfolgreichen Übergang möglich zu machen.
Die Forschenden an der KU haben 70 Interviews mit Expertinnen und Experten geführt, darunter auch Teilnehmende des BfAProgramms. Die Auswertung der Gespräche hat vier Teilbereiche sichtbar gemacht, die zum Gelingen des BfA beitragen: die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Betroffenen, die Werkstätten sowie die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. „Überraschend ist die bundesweit sehr uneinheitliche rechtlich-administrative Umsetzung des BfA. Regionale Zuständigkeiten, Trägerschaften, Antragsverfahren und nicht zuletzt Leistungen und Ansprüche variieren erheblich“, schildert Professor Thomas. So würden beispielsweise Lohn- und Fahrtkostenzuschüsse sehr verschieden gehandhabt. Für die Zielgruppe selbst könne starke Verunsicherung und Sorge festgestellt werden. Professor Thomas betont: „Es ist eine besondere, anspruchsvolle Hürde für Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit des Übergangs ggf. gegen den Rat des Umfeldes als ihr Recht zu erkämpfen.“ Die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber seien außerdem schlicht zu wenig kundig, welche Arbeitsprofile in ihrem Unternehmen für die Zielgruppe tatsächlich geeignet sein können. Sie hätten geringe zeitliche Ressourcen, Strategien und Handlungsempfehlungen sind nicht vorhanden. Die Forschungsgruppe leitet aus diesen Erkenntnissen ab, dass die rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen transparent und vergleichbar gemacht werden müssen. Außerdem sei die Berücksichtigung der Interessen der Werkstätten für Menschen mit Behinderung unabdingbar, da sie als Partner im Netzwerk zentral seien.
Eine grundlegende Problematik für die Inanspruchnahme des BfA ergebe sich außerdem daraus, dass an der Beantragung, Bewilligung sowie der fortlaufenden Betreuung viele verschiedene Institutionen beteiligt seien. Als Teil des Projektes hat die Forschungsgruppe daher einen Runden Tisch bei der Rummelsberger Diakonie abgehalten. Um den Runden Tisch versammelten sich: der Bayerische Behindertenbeauftragte Holger Kiesel, Vertreterinnen und Vertreter der Bundesagentur für Arbeit, einer Werkstatt für behinderte Menschen, des Bezirk Mittelfrankens, des Inklusionsamtes, des Integrationsfachdienstes, der Handwerkskammer, ein BfA-Nehmer sowie ein potentieller BfA-Nehmer. Entsprechend dem inklusiven Selbstverständnis und dem partizipativen Forschungsansatz wurden Betroffene als Experten integriert. Sie wurden damit zu echten Mitwirkenden im Sinne eines Reallabors. Nicht zuletzt die bundeslandübergreifende Perspektive, die sich aus dem Treffen ergab, führte bei den Teilnehmenden zur Absicht, dieses Austauschformat künftig fortzuführen.
Herausforderung der Wiedereingliederung trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung
Nicht der erstmalige Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern der Wiedereinstieg trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen steht im Mittelpunkt eines weiteren Projektes, das von der Deutschen Rentenversicherung gefördert wird. Geleitet wird es ebenfalls von Professor Thomas und der Soziologin Prof. Dr. Heike Ohlbrecht von der Otto von Guericke-Universität Magdeburg. Im Rahmen der umfangreichen Studie analysieren die Beteiligten hunderte Rehabilitationsverläufe und Wiedereingliederungsversuche von den Berufsförderungswerken in den Orten Bad Wildbad (Baden-Württemberg) und Birkenfeld (Rheinland-Pfalz) als Praxispartner. „Ziel ist es, herauszufinden, wie und wo Probleme bei der Erwerbsfähigkeit entstehen und zum Beispiel wie Abbrüche von erfolgreich begonnenen Weiterbildungsmaßnahmen vermieden werden können“, erklären die Forschenden. Dafür führen sie Interviews mit Rehabilitandinnen und Rehabilitanden aus den beiden Berufsförderungswerken, zum Teil vor Ort, aber auch an den Wohnorten der Personen. Am Ende des Projektes sollen Bedingungen für erfolgreiche Rehabilitationsmaßnahmen definiert werden, aus denen schließlich konkrete Handlungsempfehlungen für Rehabilitations- und Integrationseinrichtungen entstehen, wie ein Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt nach einer Unterbrechung gelingen kann.
„Wir sehen uns bei jeder Person den gesamten Reha- und Integrationsverlauf an, von dem Punkt der Entscheidung für eine Reha bis zum Ausscheiden aus der Unterstützung, sei es durch Abbruch, nach Ablauf oder auch durch die vorzeitige Aufnahme einer Arbeit“, so Professorin Heike Ohlbrecht. In den letzten 15 Jahren sei die Zahl der Anträge auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bundesweit von ca. 264.000 auf fast 435.000 und damit auf mehr als das eineinhalbfache gestiegen, erklärt die Soziologin. Vor allem zwei Diagnosegruppen führten zu beruflichen Bildungsleistungen: Krankheiten der Muskeln, des Skeletts oder des Bindegewebes und ebenfalls von erheblicher und steigender Bedeutung sind die psychischen Erkrankungen. Handlungsbedarf für die Forschung entstehe auch, weil es in den zurückliegenden Jahren in Deutschland vermehrt zu Frühberentungen aufgrund von psychosomatischen Erkrankungen gekommen sei. „Institutionelle Anschlüsse, also das sinnhafte Ineinandergreifen von Leistungen der behandelnden Ärzte, der Rehabilitationsträger, der betrieblichen Wiedereingliederung und des Jobcenters werden dabei immer wichtiger werden“, ergänzt Professor Joachim Thomas. Darauf müsse wiederum die Rentenversicherung reagieren und entsprechende verzahnte Angebote vorhalten.
Die betroffenen Personen wiederum erleben bei ihrer Wiedereingliederung einen immer unübersichtlicher werdenden Arbeitsmarkt und veränderte Arbeitsbedingungen durch Digitalisierung und Homeoffice. Auch neue Geschlechter- und Familienverhältnisse spielen im Vergleich zur Situation noch vor 10 Jahren eine wachsende Rolle bei der beruflichen Wiedereingliederung nach einer gesundheitsbedingten Zwangspause. So hat sich die Quote der erwerbstätigen Frauen erhöht, denen ihrer Qualifikation entsprechend angemessene Tätigkeiten ermöglicht werden müssen. „Die Entscheidung, die alte, eine andere oder gar keine Berufstätigkeit aufzunehmen, einen Job mit schlechterer Bezahlung, aber besseren Bedingungen aufzunehmen, oder den Wiedereintritt in das Erwerbsleben zu verzögern, hängt also von einem komplexen Bedingungsgefüge ab, das wir genauer untersuchen möchten“, schildern die Forschenden.
Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten, ist eine Zukunftsaufgabe
Die Beschäftigungsfähigkeit von Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen langfristig zu erhalten sei angesichts des Fachkräftemangels und des Wandels der Arbeitswelt eine wichtige gesellschaftliche Zukunftsaufgabe. Es gelte zu erreichen, dass Menschen länger und gesünder Teilhabe am Arbeitsleben erfahren können und dass sie nach einer gesundheitlich bedingten Pause wieder gestärkt und mit Freude in das Arbeitsleben zurückkehren können, wenn sie dies wünschen.
Das Forschungsprojekt „Erfolgsfaktoren beruflicher Rehabilitations- und Integrationsprozesse – eine Analyse individueller Verläufe in Berufsförderungswerken“ ist eines von zehn Projekten, das innerhalb des Forschungsschwerpunktes zur „Weiterentwicklung der beruflichen Rehabilitation“ bis 2026 von der Deutschen Rentenversicherung Bund gefördert wird. Acht Rentenversicherungsträger haben sich mit der Deutschen Rentenversicherung Bund zusammengeschlossen, um erstmals diesen gemeinsamen, trägerübergreifenden Forschungsschwerpunkt zu initiieren.