Dialogizität in post- und dekolonialer Kunst.

Debatten um internationale Großausstellungen seit 1989

Prof. Dr. Michael F. Zimmermann

Untersucht werden sollen Strategien in der Kunst seit dem Ende des Kalten Krieges, um globale Herausforderungen zu thematisieren – und zwar so, dass sie als Problemszenarios erscheinen, die nur in internationaler, multilateraler Zusammenarbeit und im Dialog bewältigt werden können. Dialogizität ist dabei auf zwei Ebenen möglich, die allgemein mit den Begriffen partizipative und kooperative Kunst umschrieben werden. Die erste arbeitet mit Verfahren der Adressierung des Publikums, in der zweiten bezieht der oder die Künstler*in, oder auch ein Team von Kurator*innen, andere (z.B. internationale) Akteure oder Partner mit ein, um insgesamt ein auf Zusammenarbeit beruhendes Bild von herausfordernden Situationen, z.B. von Herausforderungen globaler Ungerechtigkeit, zu zeichnen.

Bei der Untersuchung von Dialogizität in der Kunst sollen verschiedene Kontexte mit beachtet werden, bei der vor allem die kontrovers diskutierten Forderungen nach post- und dekolonialen Zugängen zur Kultur und damit verbundenen Fragen der Kunstgeschichtsschreibung im Vordergrund stehen. In diesen Zusammenhängen sollen insbesondere Kunstwerke, die auf internationalen Großausstellungen in Europa auf besondere Beachtung gestoßen sind, betrachtet werden, z.B. auf der Biennale in Venedig, der Documenta in Kassel. Dabei soll also nicht in erster Linie das Ausstellungsgeschehen außerhalb Festlandseuropas und Nordamerikas betrachtet werden, sondern durchaus das neuerdings zu Recht als „atlantisch“ relativierte, sogar das „alteuropäische“ Kunstgeschehen. Dies geschieht jedoch mit Blick auf globale Kunst, die dort gezeigt und zur Debatte gestellt wird.

Leitend ist die Überzeugung, dass post- und dekoloniale Dialoge nicht allein anderswo, in Übersee verortet werden sollten, und auch nicht alles damit gewonnen ist, führt man den Austausch unter anderem auch in den ehemals kolonisierenden Ländern bzw. Imperien. Vielmehr gilt es, den postkolonialen Blick auf die Kultur der ehemaligen Kolonialnationen (für manche, wie den Antragsteller, auf „uns“) selbst zu richten. Dazu müssen auch neue methodische Zugänge entwickelt werden: traditionellen Modellen der Identitäten erneuernden Traditionsaneignung sollen Methoden der „appropriation“ innerhalb von längst multikulturell, migrantisch geprägten Öffentlichkeiten gegenübergestellt werden. Der Kunstbetrieb soll nicht nur apologetisch von innen betrachtet, sondern zugleich auch aus zeithistorischer Perspektive in seiner gesellschaftlichen Wirkung in den europäischen Ländern eingeschätzt werden. Die Kritik als elitär oder hoch kapitalisiert wird dabei aufgenommen – und die entsprechende Debatte in Haupttendenzen durchleuchtet.

Das Projekt steht im Zusammenhang mit einer Arbeitsgruppe, die der Antragsteller im Rahmen einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften „Zukunftswerte“ betreut. Innerhalb dieser untersuchen drei Leiter jeweils ein Spannungsfeld zwischen als konkurrierend betrachteten Wertorientierungen, nämlich „Eigeninteresse und Gemeinschaftsinteresse“ (Andrea Abele-Brehm, Psychologie, FAU), „Freiheit und Sicherheit“ (Nicole Saam, Soziologie, FAU) und „Multikulturalität und Identität“ (Antragsteller). Bereits in diesem Zusammenhang werden künstlerische Debatten rund um Großausstellungen systematisch gesichtet. Zudem werden interdisziplinär Methodendebatten rekapitulierend ausgeleuchtet. Daran soll nun angeknüpft werden.

Im Rahmen des Projekts sollen Datenbanken zur Geschichte des Post- und Dekolonialismus in den bildenden Künsten seit 1989, aber auch zum Konzept der Dialogizität in der Kunst erstellt, online gestellt und gepflegt werden. Vieles wird dabei in Form von gut kommentierten und mit Bezug auf die Fragestellung neu kontextualisierten Listen von Weblinks erfolgen können. Eigenständig sollen jedoch Texte zur kunstkritischen Debatte über herausragende Werkkomplexen zusammengestellt und publiziert werden.

Darüber hinaus sollen 2-3 Doktorand*innen sich einem Thema aus dem Bereich der Gegenwartskunst zu der skizzierten Fragestellung widmen.

Eine Vorarbeit findet sich in folgendem Aufsatz:

„Allan Sekulas frühe fotografische Dokumentation Aerospace Folktales (1973) und seine Inszenierung dialogischer Subjektivität“, in: Magdalena Nieslony und Samantha Schramm, Hg.: Mediale Subjektivitäten. Fotografie, Film und Videokunst. Sondernummer von: Augenblick. Konstanzer Hefte für Medienwissenschaften, hg. von Ursula von Keitz, Beate Ochsner, Isabell Otto, Bernd Stiegler und Alexander Zons in Zusammenarbeit mit Heinz B. Heller, 74, Februar 2019, S. 53-71.

Eine ausführliche Projektbeschreibung finden Sie hier