Hagiographie und die literarische Kommunikation in der Spätantike

Prof. Dr. Bardo M. Gauly

Bearbeitungszeitraum: 01.01.2021 – 30.09.2023.

Form der projektierten Publikation: Einzeluntersuchungen; zweisprachige Edition von hagiographischen Texten; Tagungsband.

Das Projekt untersucht Sprache und literarische Form der lateinischen Hagiographie der Spätantike, einer Epoche, die durch eine sich beschleunigende Diversifikation von Sprach- und Kulturräumen gekennzeichnet ist. Der Diskurscharakter der Hagiographie, die eine Vielfalt von subliterarischen und literarischen Formen und Sprachen umfasst, eröffnet zugleich einen Zugang zur Erforschung der Kultur der Spätantike insgesamt, da die Texte unterschiedliche Funktionen haben können. Sie konkurrieren mit der paganen Literatur und transformieren sie zugleich; sie plädieren für eine alternative Lebensform; sie erheben den Anspruch, dem Leser Nähe zur Heiligkeit zu vermitteln; mitunter schreiben sie den Hagiographen in die Hagiographie ein und rücken ihn damit selbst in die Nähe zur Heiligkeit; sie stiften Erinnerung und Verehrung und begründen zugleich eine christliche Belletristik.

Analysiert werden die unterschiedlichen literarischen Formen, die eine Vielzahl von paganen Gattungen (Biographie, Brief, Geschichtsschreibung, Epos und Lyrik) rezipieren, die Konkurrenz zur zeitgenössischen paganen Philosophenvita, die Transformation der antiken Tradition, die etwa den Mythos zum Bildungsgut oder die pagane Naturgeschichte zum Erzählmaterial macht, die Etablierung einer neuen Erzählliteratur, die an die Stelle des hochliterarischen Epos der Antike und an die des in der antiken Kultur marginalisierten Prosaromans tritt, der performative Charakter der Texte, die Heiligkeit weniger beschreiben denn zuschreiben, sowie die literarische Selbstkonstituierung einer neuen christlichen Elite. Die Untersuchung wird durch eine zweisprachige und kommentierte Edition hagiographischer Schriften begleitet.

Das Projekt steht in Verbindung mit der von A. Arweiler (Münster) und mir geleiteten Arbeitsgruppe, die die zweisprachigen Editionen der “Bibliothek der lateinischen Literatur der Spätantike” (BLLS) publiziert (Steiner-Verlag; Bd. 1 und 2). Vom 05. bis zum 08.10.21 fand eine internationale Tagung (wiederum mit A. Arweiler) zur Literatursprache der Spätantike statt.


Einschlägige neuere Publikationen:

Claudians Phoenix und die Frage der Allegorie, in: Stenger, Jan R. (Hg.): Spätantike Konzeptionen von Literatur, Heidelberg: Winter 2015 (BkA N.F. 2,149 = The library of the other antiquity), 115-134.

Pronuba fit Natura deis: Liebesgötter und Natur in Claudians Gedicht über den Magneten, in: Hömke, Nicola [u.a.] (Hgg.): Bilder von dem Einen Gott. Die Rhetorik des Bildes in monotheistischen Gottesdarstellungen der Spätantike, Berlin 2016 (Philologus Suppl. 6), 217-233.

Ausonius’ Cupido cruciatus und die Liebe zum Mythos, in: Gauly, Bardo Maria / Müller, Gernot Michael / Rathmann, Michael (Hgg.): Dialoge mit dem Altertum. Sinnstiftungen aus der Vergangenheit in Antike, Früher Neuzeit und Moderne, Heidelberg 2019 (BkA 159), 143–160.

Von Löwen und Mönchen: Tiere in spätantiker Hagiographie, AuA 65/66 (2020), 174-189.

Alexander Arweiler / B. G.: Wer soll(te) das lesen? Der Clemensroman literarisch betrachtet, in: Vielberg, Meinolf (Hg.): Rufinus von Aquileia, Übersetzung der Pseudoklementinischen Rekognitionen, Buch 1 und 2, Stuttgart: Steiner 2021 (BLLS 2.1), 261-282.

Heiligkeit und Monument: Die Heilige und der Hagiograph in Hieronymus’ Epitaphium Paulae, in: Gauly, Bardo M. / Neumann, Michael (Hgg.): Entzeitlichung, Würzburg: Königshausen & Neumann [im Druck].