Begegnungsreise zu den Christen in Syrien: zwischen fröhlich gelebtem Glauben und quälender Perspektivlosigkeit

Auf Einladung des melkitischen Patriarchen Joseph Absi verbrachte Prof. Dr. Thomas Kremer gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Christian Trenk und Joachim Braun eine intensive Woche in Syrien. In zahlreichen Begegnungen mit den unterschiedlichen Konfessionen nahmen sie höchst disparate Eindrücke wahr: Einerseits bilden die einheimischen Christen lebendige Gemeinschaften, die ihren Glauben fröhlich feiern, andererseits werden viele von ihnen von der Perspektivlosigkeit in dem kriegsgebeutelten Land gequält.

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Nach einer anstrengenden Taxifahrt vom libanesischen Beirut aus und dem eher unspektakulären, weil bürokratischen Grenzübertritt begrüßte Absi die Eichstätter Gruppe in Damaskus. Der ersten gemeinsamen Mahlzeit mit einem intensiven Austausch über die aktuelle Lebenswirklichkeit der Christen sollten zahlreiche weitere Tischgespräche folgen. Drei Tage bildete das melkitische Patriarchat im christlichen Viertel beim östlichen Stadttor Bab Scharqi den Ausgangspunkt für Erkundungstouren durch die syrische Hauptstadt.

Damaskus
Im idyllischen Innenhof des Patriarchats
Damaskus
Bab Sharqi
Damaskus
Patriarch Joseph Absi bei der Liturgie

Während des weiteren Besichtigungsprogramms bewunderten die drei Eichstätter Forscher die goldschimmernden Mosaiken der Umayyadenmoschee, sie schlenderten über den Suq al-Hamidiya mit seinen wohlriechenden Gewürz- und verlockenden Süßigkeitenläden, bestaunten das Hypogäum des palmyrischen Kaufmanns Yarhai im Nationalmuseum, verweilten für eine kurze Verschnaufpause im Innenhof des Bimaristan (Krankenhaus) des Nur ad-Din und besuchten die Ausstellung in den Räumlichkeiten des osmanischen Azim-Palasts.

Damaskus
Die goldenen Mosaiken der Umayyaden-Moschee
Damaskus
Auf dem Suq
Damaskus
Im Azim-Palast

Bei einer abendlichen Liturgie in der Kirche „Unsere Liebe Frau von Damaskus“, einer der größten Kirchen der Stadt, wurde den deutschen Gästen die Lebendigkeit des christlichen Glaubens ohrenfällig präsentiert: Den Patriarchen begrüßte eine Gruppe musizierender jugendlicher Pfadfinder. Im Anschluss fand ein Wahltätigkeitsbasar satt, auf dem Selbstgemachtes für den guten Zweck verkauft wurde.

Damaskus
Musikgruppe der Scouts
Damaskus
Auf dem Wohltätigkeitsbasar

In der armenisch-apostolischen Sarkis-Kathedrale fand eine Begegnung mit Bischof Armash Nalbandian statt, der in Erlangen und Tübingen studierte und vor seiner Bischofsweihe als Pfarrer für die Armenier in Süddeutschland zuständig war. 2004 kehrte der gebürtige Aleppiner in sein Heimatland zurück. Er kennt also die kirchliche Situation in Syrien vor und nach dem Krieg und kann sie in internationalen Bezug setzen.

Damaskus
Im Gespräch mit Armash Nalbandian
Damaskus
Sitz der armenisch-apostolischen Diözese in Damaskus

Zukunftsträchtige Kooperationsgespräche führten Kremer, Trenk und Braun schließlich mit den Verantwortlichen der neugegründeten „Faculty of Theology“. Es handelt sich dabei um die erste staatlich anerkannte theologische Studieneinrichtung. Bei einer Führung durch die Räumlichkeiten wurden Möglichkeiten der Kooperation mittels des digitalen Eastern Christian Studies ONLINE CAMPUS ausgelotet. Die Fakultät wurde 2021 eingerichtet, auch auf persönliches Betreiben der Frist Lady, Asma al-Assad. Immer wieder wurde in den Gesprächen mit den kirchlichen Würdenträgern die Rolle des Präsidenten Baschar al-Assad für die Christen Syriens thematisiert.

Damaskus
Die neu geschaffene Theologische Fakultät
Damaskus
Im Gespräch mit der Studienleitung

Gute 20 Kilometer nördlich von Damaskus im Qalamun-Gebirge befindet sich in Saidnaya mit dem rum-orthodoxen Marienkloster einer der bedeutendsten christlichen Wallfahrtsorte Syriens. Der byzantinische Kaiser Justinian I. habe das Kloster 547 nach einer Marienerscheinung errichten lassen. In der Nachbarschaft liegt das syrisch-orthodoxe Ephrämskloster, dessen fünfstöckiger Bau Seminaristen aus der ganzen Welt beherbergt. Hier fand ein Gespräch mit Mor Sewerios Roger Akhrass statt, der als Patriarchalvikar für das „Department of Syriac Studies“ zuständig ist. Mit dem ausgewiesenen Fachmann für syrische Liturgie und Theologie wurden Möglichkeiten einer zukünftigen Zusammenarbeit erörtert.

Saidnaya
Das Wallfahrtskloster in Saidnaya
Akhrass
Im Gespräch mit Roger Akhrass
Akhrass
Gruppenfoto vor dem Ephrämsseminar

In Maalula sprechen die wenigen verbliebenen Christen einen neuwestaramäischen Dialekt. Dort stand eine Besichtigung des Klosters der Heiligen Thekla sowie des Klosters der Heiligen Sergius und Bacchus auf dem Programm, deren schwere Beschädigungen durch die al-Nusra-Front auch nach den grundlegenden Restaurierungsarbeiten noch zu erahnen sind.

Maalula
Der Komplex des Theklaklosters
Maalula
Blick über Maalula
Maalula
Die Sigmamensa des Altars im Sergius- und Bacchuskloster

Das Kloster Mar Musa al-Habaschi erhebt sich auf einem Felsvorsprung in einem schmalen Wadi des Antilibanon in der syrischen Wüste nahe der Kleinstadt an-Nabk. 1984 begann der italienische Jesuitenpater Paolo Dall’Oglio die verfallenen Gebäude wiederaufzubauen und gründete eine Gemeinschaft, die sich dem interreligiösen Dialog mit dem Islam verschrieben hat. Seit 2013 gilt er als verschollen. Von seiner Spiritualität, die diesen Ort und seine Bewohner dennoch immer noch prägt, zeigten sich die drei Eichstätter Reisenden tief bewegt.

Mar Musa
Aufstieg zum Kloster Mar Musa al-Habaschi
Mar Musa
Klosterkatze
Mar Musa
Detail von der Freskenausmalung der Klosterkirche

Die Reiseroute führte weiter nach Homs, als drittgrößte Stadt des Landes stark durch die kriegerischen Auseinandersetzungen betroffen. Gastgeber war dort Jacques Mourad. Der ehemalige Prior des Klosters Mar Elian war 2015 von Dschihadisten des IS entführt und fünf Monate lang gefangen gehalten und gefoltert worden. Im Januar 2023 wurde er zum syrisch-katholischen Erzbischof von Homs gewählt. Wie sehr er sich trotz seiner leidvollen Erfahrungen für Dialog und Versöhnung einsetzt, machte die deutschen Besucher zutiefst ergriffen.

Homs
Nach dem Gespräch mit Jacques Mourad
Homs
Restaurierte Christusikone
Homs
Zerstörungen in Homs

Nach einem kurzen Fotostopp bei den knarzenden Wasserrädern von Hama, die das Wasser des Orontes auf die umliegenden Felder schöpfen, wurde schließlich Aleppo erreicht. Die Altstadt mit Umayyaden-Moschee und dem einst schönsten Suq der islamischen Welt ist zerstört. Die Bauten tragen deutliche Spuren von Artilleriebeschuss, Bombeneinschlägen und Feuersbrünsten. Doch nicht nur die Gebäude, sondern auch die Menschen sind tief verwundet. Sie wirken in den Begegnungen hoffnungslos, geradezu lethargisch. Bedrückend ist die aussichtslose Situation der vielen Straßenkinder. Dennoch finden sich zahlreiche und unerwartet große Kirchengebäude der unterschiedlichen christlichen Konfessionen in der Stadt. Im Gespräch mit Pierre Masri, der die „Bibliothèque Spirituelle“ betreut, werden die Perspektivlosigkeit und der Wunsch vieler Christen, ins europäische Ausland auszuwandern, thematisiert.

Hama
Wasserrad in Hama
Aleppo
Im Gespräch mit Pierre Masri
Aleppo
Stadtzitadelle von Aleppo

Der Rückweg zum Flughafen in Beirut führte an Krak des Chevaliers vorbei. Die Kreuzfahrerburg ist seit 2006 UNESCO-Weltkulturerbe, sah sich aber während der Kampfhandlungen schweren Verwüstungen ausgesetzt. Mit zahlreichen persönlichen Eindrücken und neuen Ideen für Lehr- und Forschungskooperationen kehrten die drei Eichstätter Reisenden nach Deutschland zurück.

Krak des Chevaliers
Das Bollwerk von Krak des Chevaliers
Krak des Chevaliers
Auf der Burg

Text und Fotos: Joachim Braun

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