Relevanz

Religion ist allen Kulturen und Gesellschaften eigentümlich. Sie ist prägend sowohl für das Selbstverständnis und die Identitätsbestimmung von Individuen als auch für deren soziale Vergemeinschaftung bzw. für die Abgrenzung von anderen Gruppen. In Gesellschaften der westlichen Moderne rückt Religion in das Spannungsfeld zwischen Formen fluider und individueller Religiosität und Formen einer hochgradig institutionalisierten Religion, wie sie etwa in den christlichen Kirchen und insbesondere in der katholischen Kirche anzutreffen ist. Charakteristisch für institutionalisierte Formen von Religion scheint das Streben nach diachroner Konstanz und Stabilität, doch sind sie zugleich in vielfältiger Weise Ort und Träger des Wandels, der aus entsprechenden Dynamiken in ihnen selbst entstehen oder durch Entwicklungen ihres gesellschaftlichen und kulturellen Umfelds induziert sein kann. Schließlich bewegt sich das Verhältnis zwischen den Religionen und den Gesellschaften, in denen sie kulturell verortet, politisch wirksam und institutionell verankert sind, zwischen den Polen von weitgehender Konvergenz und strikter Abgrenzung – und auch diese Konstellationen sind veränderlich.

Dieser Wandel lässt sich besonders in Teilen Europa als Prozess der Auflösung traditioneller christlicher Milieus in ihrer jeweiligen konfessionellen Ausprägung und des entsprechenden Schwunds an kultureller Prägekraft und gesellschaftlicher Relevanz der beiden großen christlichen Kirchen beschreiben. Hier, aber ebenso andernorts, gewinnen individuelle und synkretistische Formen von Religiosität an Bedeutung, die ohne oder mit nur geringer institutioneller Anbindung auskommen. Die Modernisierungsprozesse führen nicht zu einem Verschwinden der Religion, sondern zu einem tiefgreifenden Wandel ihrer Glaubens-, Ausdrucks- und Sozialformen. Dabei erweist sich Religion auch als ein ebenso einflussreicher wie ambivalenter Faktor der gesellschaftlich-kulturellen Entwicklung wie der internationalen Politik. Neben und im Kontext einer radikalisierten Säkularisierung zeigen sich in Europa zugleich gegenläufige Prozesse einer individuellen Suche nach Spiritualität, aber auch einer religiös grundierten Identitätspolitik.

Derartige Befunde machen deutlich, dass Fragen nach der Bedeutung von Religion für Individuen und Gesellschaften sowie nach Gründen und Bedingungen ihrer Institutionalisierung heute keineswegs obsolet geworden sind, sondern vielmehr in neuer Dringlichkeit gestellt werden müssen – und zwar unter globalen Vorzeichen. Dabei ist die historische Dimension religiöser und kultureller Wandlungsprozesse einzubeziehen, ohne welche die gegenwärtige Situation in ihrer Komplexität und ihren unterschiedlichen Entwicklungspfaden nicht zu verstehen ist. Das KU Zentrum Religion, Kirche, Gesellschaft im Wandel (ZRKG) der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt setzt genau hier an, indem es aus wissenschaftlichem Interesse im Verbund verschiedener Disziplinen das Spannungsfeld der drei in seinem Titel genannten Begriffe in den Vordergrund rückt: Religion – Kirche – Gesellschaft. Der Fokus richtet sich dabei auf die Transformationspotentiale und -prozesse, die sich in Geschichte und Gegenwart an diesen drei Phänomenen und ihrer Interaktion zeigen.

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