(Nicht) In Stein gemeißelt

Fragmente römischer Skulpturen in Nassenfels

 

In der archäologischen Sammlung in der Grundschule fallen dem Besucher Köpfe, Arme und Finger von Steinskulpturen ins Auge: Es sind Originale und Kopien nach Originalfunden aus Nassenfels. Die Menge an Funden römischer Skulpturfragmente ist in Nassenfels ungewöhnlich hoch. Die meisten der hier gezeigten Skulpturenfragmente wurden unter einer Marktbefestigung aus dem 14. Jahrhundert gefunden.

Sammlung
Abb.: Sammlung römischer Plastikfragmente der Grundschule Nassenfels (Foto: Nadin Burkhardt, 2021)

An derselben Stelle vermuten Archäologen den Erdwall des Nassenfelser Kastells. Die hohe Funddichte an einer einzigen Stelle lässt darauf schließen, dass die Skulpturen gezielt an
diesem Ort zusammengetragen wurden. Die Statuen wurden wohl auch an diesem Platz zerstört, da man dort viele Splitter gefunden hat. Ziel dieser Zerstörung war die Gewinnung von Baustein für neue Bauten, also die Weiterverwendung des Steins, nicht der Skulpturen.

Die Bildhauerei ist im Zuge der Romanisierung in die Provinzen gekommen. Sie war eng mit der Religion verbunden, da vorwiegend römische Staatsgötter, wie Vulcan, Mars oder Minerva, abgebildet wurden. Aber auch nichtrömischen Gottheiten wie Epona wurden in Nassenfels steinerne Denkmäler gesetzt.

Nassenfels wurde nicht vollständig archäologisch untersucht; Tempelbauten kamen noch nicht ans Licht. Vielleicht waren die Statuen in öffentlichen Bauten des Vicus Nassenfels aufgestellt oder aus einem Heiligtum eines anderen Ortes nach Nassenfels transportiert wurden. Ein kleiner Sakralraum wurde bei der suburbanen Villa im Süden des Vicus gefunden; hier kam von den Votiven ein gefaltetes Silberblech ans Licht. Die Qualität der Steinskulpturen und ihr Material läßt auf eine lokale Werkstatt schließen, die wohl auch Altäre und Reliefs herstellte. Zumal eine Skulptur, der Genius, im Steinbruch gefunden wurde. Offenbar waren Privatpersonen, Vereine oder die Gemeinde wohlhabend genug, um entsprechend viele Aufträge zu vergeben. Die Zentralortfunktion des Vicus bei Nassenfels kann sich auch auf die Werkstatt erstrecken, die dann auch andere Orte beliefert hätte.

Kopf mit Helm
Abb.: Kopf mit Helm aus Nassenfels (Foto: Nadin Burkhardt/Jonas Haufen 2021)
Herakles Neapel
Abb.: Tönerner Kopf des Herakles, Neapel, Ton, aus Teano, 3-1. Jh.v.Chr., Neapel MANN (Abb.: G. Pugliese Carratelli (Hg.), Italia Omnium Terrarum Alumna I 1988, S. 564, Abb. 575)

Ein besonders auffälliges Stück der Sammlung ist das Fragment eines Kopfes mit Helm. Das Original dieses Kopfes befindet sich im Jura-Museum Eichstätt auf der Willibaldsburg. Es handelt sich um den Kopf einer bartlosen Person, die einen Helm mit einer Nase und angedeuteten Augen trägt. Sie wurde unterschiedlich interpretiert. Im Museumsführer, herausgegeben von A. J. Günther, wird der Kopf als Herkules interpretiert. Allerdings wird Herkules üblicherweise mit einem Löwenfell als Mantel dargestellt, der Löwenskalp bildet eine Art Kapuze. Er hat in einer seiner 12 heroischen Taten den nemäischen Löwen besiegt und trägt dessen Fell als Schutz. Die Löwenfellkapuze hat in vergleichbaren Abbildungen keine Ähnlichkeit mit dem Helm des Nassenfelser Kopfes, da sie keine menschlichen Züge aufweist.

Welche andere Gottheit könnte dann gemeint sein?

Kopf des Mars
Abb.: Kopf des Mars, Metropolitan Museum New York (Marble relief fragment with the head of Mars, https://www.metmuseum.org/art/collection/search/250709 [Letzter Aufruf: 29.07.21])

Zu den Göttern, die traditionell mit Helm abgebildet werden, gehört der römische Kriegsgott Mars. Als Kriegsgott wird er häufig in kompletter Rüstung dargestellt. Zu dieser gehört auch ein Helm. Wie dieses Vergleichsstück aus dem Metropolitan Museum in New York zeigt, erinnert auch sein Helm an ein Gesicht. Allerdings hat dieser Helm Augenschlitze und nicht nur angedeutete Augen. Er ist funktional gedacht. Es handelt sich hierbei um einen korinthischen Helm, einen traditionellen griechischen Schutzhelm. Zudem wird Mars meistens als bärtiger Mann dargestellt. Der Nassenfelser Kopf ist jedoch bartlos.

Eine andere Gottheit, die traditionsgemäß einen Helm trägt, ist die Göttin Minerva. Wie man auf dieser Zeichnung einer Medaille erkennen kann, kann ihr Helm in manchen Darstellungen ebenfalls ein Gesicht aufweisen. Die ausgeprägte Nase und die angedeuteten Augen des Helmes sehen dem Helm aus Nassenfels sehr ähnlich. Betrachtet man den Kopf von der Seite, fällt eine weitere Ähnlichkeit zu anderen Minerva-Darstellungen auf: die Haare der Skulptur sind im Nacken nach oben gesteckt. Dieselbe Frisur kann man auch bei einer Darstellung dieser Göttin, die in Frankfurt ist, ausgestellt sehen. Die hier gezeigten Vergleichsbeispiele sind griechisch-klassisch bis hellenistisch, doch wurden sie in römischer Zeit gern kopiert und so sind solche Darstellungen auch in der römischen Kunst zu finden. Wegen dem Gesichtshelm, der Bartlosigkeit und den hochgesteckten Haaren wird es sich bei dem Nassenfelser Kopf um eine Minerva handeln.

Medaille der Athena, Zeichnung
Abb.: Medaille der Athena, Zeichnung (P.Adam-Belenē, I. Bokotopulu, Myrtos: mnēmē Iulias Bokotopulu (Thessaloniki 2000) 142 Abb. Oben)
Kopf mit Helm
Abb.: Kopf mit Helm, Willibaldsburg Eichstätt (Foto: Nadin Burkhardt, 2021)
Athena Myron
Abb.: Kopf der Athena Myron, Frankfurt, Liebieghaus SkulpSlg Inv195 (G.Daltrop, P. C. Bol, Athena des Myron (Frankfurt am Main 1983) 8 Abb. Gesamt)

Wie man sieht, ist die Archäologie eine Wissenschaft, bei der nichts in Stein gemeißelt ist. Andere Blickwinkel und neue Funde können Ergebnisse verändern. Aber was ist Ihre Meinung? Konnten Sie überzeugt werden, dass der Nassenfelser Kopf zu einer Minerva-Statue gehört? Oder sind Sie der Ansicht, dass es doch der Kopf des Herkules ist? Nehmen Sie gerne an unserer Umfrage teil und teilen Sie uns ihre Meinung mit!

Umfrage
Grafik: Sara Bölke, 2021

Literatur

P. Eschbaumer, Nassenfels in römischer Zeit in: Nassenfels. Beiträge zur Natur- undKulturgeschichte des mittleren Schuttertals (Kipfenberg 1986) S. 107-140.
A. J. Günther, Museum für Ur- und Frühgeschichte. Das archäologische Museum des historischen Vereins Eichstätt auf der Willibaldsburg (Eichstätt 2005).
T. Hölscher, Klassische Archäologie. Grundwissen (Darmstadt 2006).
H.-J. Kellner, Neue Römische Skulpturen aus Nassenfels, Landkreis Eichstätt, in: Aus Bayerns Frühzeit. Friedrich Wagner zum 75. Geburtstag (München 1962) S. 205-210.
T. Lobuescher, Religion in: T. Fischer (Hrsg.), Die römischen Provinzen. Eine Einführung in ihre Archäologie (Stuttgart 2001) S. 184-194.
P. Noelke, Skulptur und Grabsteine in: T. Fischer (Hrsg.), Die römischen Provinzen. Eine Einführung in ihre Archäologie (Stuttgart 2001) S. 156-163.
F. Wagner, Die römischen Bildwerke des Eichstätter Gebiets, in: F. Winkelmann, Eichstätt. Sammlung des Historischen Vereins, 1926, 246-277.