Forschungsfeld III: Religiosität in Transformationsprozessen der Gegenwart

Im Forschungsfeld III „Religiosität in Transformationsprozessen der Gegenwart“ geht es einerseits darum, den tiefgreifenden Wandel im Bereich der Religiosität und der kirchlichen Sozialformen sowie im Verständnis des Glaubens zu untersuchen. Andererseits werden die in gegenwärtigen gesellschaftlichen Transformationen aufbrechenden theologischen und religionsbezogenen Herausforderungen und Fragestellungen aufgegriffen. Damit soll ein Beitrag zu den Debatten über das Selbstverständnis einer reflexiv gewordenen Moderne geleistet und die Rolle der westlichen Kultur und ihrer Werte in der globalisierten Welt kritisch reflektiert werden.

Die westliche Moderne zeigt über die letzten Jahrzehnte eine tiefgreifende Transformation der religiösen Vorstellungswelten, Haltungen und Praktiken. Diese ist spannungsreich und ambivalent. Es dominiert ein individueller und pluraler Umgang mit Religion auf Grundlage von Religionsfreiheit, auf der Suche nach Identität und Authentizität. Die persönliche Entscheidung für oder gegen eine spezifische Religionszugehörigkeit spielt eine entscheidende Rolle und eine institutionell ungebundene Religiosität gewinnt an Raum gegenüber rituell und dogmatisch geordneten Institutionen. Auf dem globalen Markt heterogener religiöser Angebote können Menschen für sich Passendes zusammenstellen und anderes ablehnen. Dabei bieten soziale Medien neue Möglichkeiten der Organisation von Religion, aber bergen auch Gefahren der Manipulation. Charismatische Bewegungen und (evangelikale) Freikirchen finden weltweit Zulauf. Kennzeichnend für den veränderten Umgang mit Religion ist auch, dass religiöse Symbole und Sprache in Literatur, Film, Popkultur, Werbung rezipiert und neu arrangiert werden. Auf der anderen Seite wächst die Bedeutung fundamentalistischer Bewegungen, die unter selektivem Rückgriff auf einzelne Traditionen eine festgefügte, andere(s) ausschließende Identität zu etablieren suchen. Dies kann wiederum die Skepsis gegenüber religiösen Geltungsansprüchen verstärken, was sich in szientistischen Positionen zuspitzt. Hier bricht mitunter die Frage nach funktionalen Äquivalenten von Religion in postsäkularen Gesellschaften und damit verbunden nach Gefahren der idolatrischen Überhöhung von Personen, Gegenständen oder politischen Zielen auf. Um diese Transformationen von Religiosität in der Gegenwart zu verstehen und zu deuten, bedarf es der sozial-, politik-, kultur-, religions- und literaturwissenschaftlichen Perspektive ebenso sehr wie der theologischen.

Trotz dieser Trends zu einem individuelleren Umgang mit Religion geht es bei Religiosität um mehr als eine Frage des persönlichen Geschmacks. Die Suche nach Wahrheit, nach dem Guten und Gerechten, nach dem Schönen und dem letztlich Tragenden greifen ineinander. Religion und Theologie sind mit den großen Herausforderungen konfrontiert, welche die Menschheit insgesamt betreffen. Globale Ungerechtigkeit, transnationale Konflikte und die ökologische Krise stellen Zusammenhalt und Überleben der Weltgesellschaft infrage. Wenn dabei überkommene moralische wie politische Ordnungen brüchig werden, kann die Theologie mit ihrer Ausrichtung auf Gott und auf die Erlösung der Welt faktisch gegebene Verhältnisse und ihre Sachzwänge kritisch hinterfragen und anregen, über sie hinauszudenken. Im Gespräch mit Philosophie, Sozial-, Politik- und Kulturwissenschaften müssen Ermöglichungsbedingungen und Motivationen, Konzeption und Reichweite von Solidarität und anderen Werthaltungen, die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Krisenzeiten wichtig sind, erörtert werden. Dabei gilt es insbesondere die Machtunterschiede kritisch zu reflektieren, die unterschiedlichen Grade an Betroffenheit und Vulnerabilität, die in den Krisen auf sozialer, ökonomischer, kultureller und ökologischer Ebene zutage treten.

Neben diesen theoretischen Grundlagenreflexionen soll auch die Rolle der gelebten Religiosität als einem nicht zu vernachlässigenden Einflussfaktor in gesellschaftlichen Umbrüchen erforscht werden. Dabei muss bedacht werden, dass in einem Kontext, in dem bestehende Ordnungen brüchig werden, auch die traditionellen Zuordnungen von Kirche und Staat nicht mehr ausreichen, um diesen Einfluss adäquat zu erfassen. Es gilt vielmehr zu untersuchen, wie Religionsgemeinschaften sowie Staats- und Freikirchen neben privaten, staatlichen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen Kultur und vorpolitische Bedingungen eines politischen Gemeinwesens mitgestalten. Umgekehrt ist zu fragen, inwiefern unterschiedliche Reaktionen auf gegenwärtige politische und ökologische Krisen oftmals an kulturelle und religiöse Konflikte gekoppelt sind, die nicht nur zwischen Religionen und Weltanschauungen verlaufen, sondern auch mitten durch sie hindurch zwischen verschiedenen Glaubensstilen, Lebens- und Denkformen.

Forschungsfeldsprecher

Martin Kirschner
Prof. Dr. Martin Kirschner
Direktor ZRKG/Sprecher FF III
Gebäude Am Salzstadel 1
Postanschrift
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
ZRKG
Am Salzstadel 1
85072 Eichstätt
Isabelle Stauffer
Prof. Dr. Isabelle Stauffer
stv. Direktorin ZRKG/Sprecherin FF III
Gebäude Universitätsallee/Zentralbibliothek | Raum: UA-226
Postanschrift
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Universitätsallee 1
85072 Eichstätt

Hier geht's zu den weiteren Mitgliedern des Forschungsfelds III