Dialogkulturen. Wissenschaftliche Reflexionsräume für Kultur-und Sozialwissenschaften
Das KU Forschungskolleg „Dialogkulturen. Wissenschaftliche Reflexionsräume für Kultur- und Sozialwissenschaften“ ist ein international ausgerichtetes Kolleg zur Förderung der kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschung an der Universität Eichstätt-Ingolstadt. Es ermöglicht und stärkt, von Promotions-, Post-Doc- und Habilitationsprojekten bis zur Forschung von etablierten Fachkollegen und Fachkolleginnen, den wissenschaftlichen Austausch über die eng gesteckten Fachgrenzen hinaus.
Nachruf auf Prof. Dr. Michael Zimmermann (1958-2025)
Michael Zimmermann
Die Mitglieder des Forschungskollegs „Dialogkulturen“ trauern um Michael Zimmermann. Er gehörte zu den Initiatoren und Gründungsmitgliedern des Kollegs und war seit 2023 im Sprecherteam. Als engagierter Sprecher war er ein leidenschaftlicher Mitgestalter unseres wissenschaftlichen Miteinanders. Mit seiner intellektuellen Brillanz, seiner Offenheit und einer seltenen Gabe zur Inspiration hat er das Kolleg geprägt. Er war überzeugt von der Kraft des Dialogs – zwischen Disziplinen, Kulturen und Menschen. Er hat mit mehreren aktuellen und ehemaligen Kollegmitgliedern interdisziplinäre Seminare, Workshops und Doktorand:innenkurse veranstaltet und gemeinsam zu übergreifenden Themen publiziert. Mit seinem Tod verlieren wir einen herausragenden Wissenschaftler, einen unermüdlichen Impulsgeber und einen lieben Kollegen.
Michael Zimmermann war Kunsthistoriker und hatte hier in Eichstätt an der KU seit 2004 den Lehrstuhl für Kunstgeschichte inne. Er liebte in besonderem Maße die italienische und die französische Kultur und sprach beide Sprachen fließend. Schon während seines Studiums der Kunstgeschichte, Philosophie und Geschichte vertiefte er seine Verbindung zu Italien und Frankreich: Mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ging er nach Rom, wo er nicht nur an der Universität La Sapienza studierte, sondern auch an der Bibliotheca Hertziana. Statt ins Rheinland zurückzukehren, zog es ihn an die Seine: Er setzte sein Studium in Paris an der Sorbonne fort. 1985 wurde er schließlich in Köln bei Joachim Gaus und Hans Ost mit der Arbeit „Seurat. Sein Werk und die kunsttheoretische Debatte seiner Zeit“ promoviert – eine Dissertation, die in mehrere Sprachen übersetzt und international rezipiert wurde.
Seinen akademischen Berufsweg begann er in Berlin, wo er für fünf Jahre wissenschaftlicher Assistent an der Freien Universität Berlin war, am Lehrstuhl des Kunsthistorikers Thomas W. Gaehtgens mit einem Schwerpunkt auf französischer Kunstgeschichte. Aus Berlin wechselte er nach Italien an das deutsche Kunsthistorische Institut in Florenz, eine Institution die sich wie er der Kunst- und Architekturgeschichten in transkultureller und globaler Perspektive widmete. Sein Wissen um die institutionellen Strukturen und Ziele führte ihn an das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München, das er als zweiter Direktor von 1991 bis 2002 mitgestaltete.
Seine wissenschaftliche Laufbahn war geprägt von internationaler Anerkennung und eindrucksvoller intellektueller Weite. In dieser Zeit war er unter anderem Gastwissenschaftler am Institute for Advanced Study in Princeton (NJ) sowie am Getty Center for the History of Art and the Humanities in Los Angeles (CA). Dort arbeitete er an einer groß angelegten Studie mit dem Titel „Die Industrialisierung der Phantasie. Illustrierte Presse, Malerei und das mediale System der Künste in Italien während des Aufbaus der modernen Staatsnation, 1875–1900“, die er im Jahr 2000 als Habilitationsschrift im Fach Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin erfolgreich verteidigte und 2006 veröffentlichte.
Seine wissenschaftliche Exzellenz und seine originellen Forschungsimpulse führten ihn immer wieder an international renommierte Institutionen. So war er 2001 Gastprofessor an der Universität Paris-Nanterre und im selben Jahr als Robert Sterling Clark Visiting Professor im Graduate Programme in the History of Art am Williams College in Williamstown (Massachusetts) tätig. Von 2002 bis 2004 lehrte er als Professor für Kunstgeschichte der Neuzeit und der Moderne an der Université de Lausanne, bevor er 2004 dem Ruf an die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt folgte.
Auch in den darauffolgenden Jahren blieb er international gefragt: 2007 und 2014 war er Gastprofessor an der École normale supérieure in Paris, 2013 am Vincent-van-Gogh-Museum und an der Universität Amsterdam, 2016 an der Universität Mailand, 2019 an den Universitäten Trient und Udine. 2024 folgte ein Aufenthalt an der Scuola Normale Superiore in Florenz und zuletzt 2022 sowie 2025 eine Ernennung zum „Distinguished Professor“ an der Scuola Normale Superiore in Pisa.
Seine Publikationen spiegeln die Breite und Tiefe seiner vielfältigen Forschungsinteressen wider: Von der Kunst des 16. Jahrhunderts bis hin zu den Bildkünsten des 19. und 20. Jahrhunderts in Frankreich, Italien und Deutschland, wobei besonders der Impressionismus und die Schnittstellen zwischen Kunst und Wissenschaftsgeschichte sein Interesse weckten. Ein weiteres zentrales Thema seiner Forschung war die Untersuchung von Mediensystemen und visueller Narratologie. Dabei widmete er sich sowohl historischen als auch aktuellen Theorien des Bildes und der Visualität.
Am Forschungskolleg „Dialogkulturen“ verfolgte er ein Projekt zur „Dialogizität in post- und dekolonialer Kunst“. In diesem Zusammenhang analysierte er die Debatten um internationale Großausstellungen seit 1989 und die Strategien der Kunst, die nach dem Ende des Kalten Krieges entstanden sind. Dabei interessierte ihn besonders, wie Kunst als Forum für globale Herausforderungen genutzt wird und wie internationale, multilaterale Zusammenarbeit und Dialog als Mittel zur Bewältigung dieser Herausforderungen dienen können. Er war seit 2008 ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, in einem Gelehrtennetzwerk über Fach- und Ländergrenzen hinweg, wo er mit anderen eine Arbeitsgruppe leitete, die u. a. eine Video-Gesprächsreihe zu „Fake und Fakt im Bild“ erarbeitet, sowie eine weitere zu „Zukunftswerten“ mit der Rubrik „Multikulturalität und Identität“. Seit 2021 war er auch in der Arbeitsgruppe zum „Judentum in Bayern“ engagiert.
Interdisziplinarität war ein zentrales Anliegen in Michael Zimmermanns wissenschaftlicher Arbeit. Besonders hervorzuheben ist das DFG-geförderte Graduiertenkolleg der KU „Practicing Place – Soziokulturelle Praktiken und epistemische Konfigurationen“, das er von Anfang an maßgeblich mitgestaltete. Darüber hinaus prägte er viele Jahre lang als Sprecher den Masterstudiengang „Aisthesis. Historische Kunst- und Bilddiskurse im Elitenetzwerk Bayern“, aus dem schließlich der BA-/MA-Studiengang „Aisthesis“ an der KU hervorging.
Sein Engagement erstreckte sich auch auf die akademische Selbstverwaltung: Er war Mitglied der Fakultät und des Senats, wirkte als Prodekan und war in zahlreichen Ausschüssen tätig. Als Hochschullehrer war er von außergewöhnlichem Engagement geprägt; seine Vorlesungen und Exkursionen gingen weit über den fachlichen Horizont hinaus und behandelten tiefgehende Themen der Kultur- und Sozialgeschichte. Ebenso wie er selbst als Student durch die Studienstiftung des Deutschen Volkes gefördert wurde, unterstützte er herausragende Kunstgeschichtsstudierende und förderte ihre wissenschaftliche Laufbahn.
Michael Zimmermanns Werk, sein unermüdliches Wirken an den verschiedenen Institutionen und seine interdisziplinäre Vernetzungsarbeit sind ein bleibendes Vermächtnis. Wir trauern um einen hochgeschätzten Kollegen, einen passionierten Wissenschaftler, einen begeisternden akademischen Lehrer und einen wunderbaren Menschen.
Die Mitglieder des Forschungskollegs Dialogkulturen werden ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren.
Das KU Forschungskolleg „Dialogkulturen“ lädt erfahrene Wissenschaftler:innen der Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften ein, sich für ein Senior Fellowship 2025 zu bewerben. Das Fellowship ermöglicht einen 3–4-wöchigen Forschungsaufenthalt an der KU Eichstätt-Ingolstadt und die Anbindung an ein interdisziplinäres Forschungsnetzwerk.
Die Bewerbung ist bis zum 30. April 2025 als eine einzelne PDF-Datei (max. 20 MB) zu richten an: forschungskolleg-dialogkulturen@ku.de
Wir laden herzlich zum Vortrag von Dialogkulturen Senior Fellow Prof. Dr. Dirk Uffelmann (JLU Gießen) am 17.12 ein
Die Dialogkultur der Dialogtheorie
Datum: 17.12.2024, 14-16 Uhr Ort: UA 141
Der Vortrag projiziert die im Anschluss an Michail M. Bachtins (1895–1975) Dialogkonzept entwickelte Intertextualitätstheorie auf die Quellenreferenzpraxis in Bachtins eigenen Texten zurück, fragt also nach seiner Dialogkultur.
In der Auffassung einer poststrukturalistisch orientierten Lesart (Kristeva 1969; Lachmann 1990) führt die von Bachtin beschriebene Doppeltgerichtetheit des dialogischen Wortes zu einer potentiell unendlichen Kette an Verweisungen auf andere Wörter. Das Merkmal der Intertextualität gerät so zum Faktor massiver Komplizierung. Die Gegenthese wurde häufig unter marxistisch-pragmatischen Auspizien lanciert: Insbesondere die Vertreter der Warschauer „Poetyka pragmatyczna“ [„Pragmatische Poetik“] (Czaplejewicz/Kasperski 1977), aber auch Jenny (1976) begreifen den Verweischarakter des dialogischen Wortes als Chance zur Rekontextualisierung, zur Rekonstruktion einer „historisch gewesenen“ kommunikativen Disposition des künstlerischen Wortes, also als Werkzeug einer objektiven historischen Semantik.
Die beiden Pole der Fixierung von Textsinn durch Rekontextualisierung einerseits und der Komplizierung dieses Sinns durch unendliche intertextuelle Verweise kehren in der Rezeption Bachtins wieder: Die Rezipientinnen loten die intertextuelle Verfasstheit von Bachtins Texten selbst aus. Das Erkennen der historisch-kommunikativen Konstellation, in der seine Werke entstanden, seine Verortung im Kontext der Prätexte soll dem besseren Verständnis seiner Arbeiten dienen. Diese Operation wirft das Licht zurück auf die Sinnkonstitutionsstrategie von Bachtins eigenen Texten. Das in seinen Werken zu beobachtende Verfahren, sich explizit auf historische Materialien zu beziehen, Berührungen mit zeitgenössischer Theorie und Philosophie aber kaum zu markieren, ist als besondere Strategie der Sinnkonstitution in Bachtins Werken zu beschreiben. Das Projekt „Die Dialogkultur der Dialogtheorie“ widmet sich also der ketzerischen Frage, ob Bachtins gespaltene intertextuelle Dialogkultur nicht tendenziell – in seinen eigenen Begriffen – als monologisch zu kennzeichnen wäre.
Fellows am KU Forschungskolleg Dialogkulturen im Wintersemester 2024/25
Wir freuen uns sehr, im Wintersemester 2024/25 die folgenden Fellows an unserem Kolleg begrüßen zu dürfen:
Der Workshop soll Raum bieten für einen interdisziplinären Austausch über Praktiken, Gedächtniskonstruktionen und Zugehörigkeiten in ausgewählten Grenzräumen Südamerikas seit der Unabhängigkeit. Im Zentrum stehen Kontaktzonen, die sich infolge von Kolonisierung, Besiedelung, wirtschaftlicher Ausbeutung, fortschreitender Missionstätigkeit, staatlich gesteuerten Expansionsprozessen sowie infolge dadurch hervorgerufener lokaler Widerstände immer wieder neu konstituierten und weiterhin konstituieren.
Das Konzept des „doing frontiers“ durch Tun, Sprechen, Erinnern, Denken und Fühlen steht im Mittelpunkt dieses Workshops. Es basiert auf einem offenen Grenzkonzept, das versucht, die Entstehung, Veränderung und das Verschwinden von gesellschaftlichen Formationen, ihren Ordnungsformen, Bräuchen, Repräsentationen, Bedeutungszuschreibungen und Erinnerungen unter Bedingungen des kulturellen Kontakts zu erfassen.
Der Workshop bringt Forscher*innen aus den Disziplinen Geschichtswissenschaft, Literatur-, Kunst- und Medienwissenschaft, Linguistik, Kommunikationswissenschaft, Geographie und Anthropologie aus Europa und Lateinamerika zusammen. Anhand konkreter Fallstudien möchten wir der Frage nachgehen, über welche Praktiken der (Selbst-)Affirmation und Aushandlung sich unterschiedliche Akteure in bestimmten Grenzräumen jeweils selbst verorten bzw. verortet werden. Ziel ist es, Lateinamerika stärker in die aktuellen Forschungsdiskurse der Border und Frontier Studies zu integrieren und zugleich zu einem vertieften Verständnis der Dynamiken südamerikanischer Grenzräume beizutragen.
Wir laden Sie ein, sich an den wichtigen Diskussionen in diesem interdisziplinären Dialog zu beteiligen.
Fellows am KU Forschungskolleg Dialogkulturen im Wintersemester 2023-24
Wir freuen uns sehr, im Wintersemester 2023-24 die folgenden Fellows am KU Forschungskolleg Dialogkulturen begrüßen zu dürfen:
Dr. Davide Bagnardi (Altphilologie, Università degli Studi di Roma “Tor Vergata” ), Henriette Herz Junior Fellow, “Intellectual Mystics at Helfta in dialogue with the divinity: Mechtilde of Hackeborn’s Liber Specialis Gratiae")
Dr. Aura Piccioni (Archäologie, Università degli Studi di Roma “Tor Vergata” ), Henriette Herz Junior Fellow, “Völkerdialoge, Kunstdialoge: Bronzestatuen als Identitätsträger in Sizilien””
Mehr zu unseren aktuellen und vergangenen Fellows hier.
Wir laden herzlich zum Vortrag von Dialogkulturen Senior Fellow Prof. Dr. Dirk Uffelmann (JLU Gießen) am 17.12 ein
Der Vortrag projiziert die im Anschluss an Michail M. Bachtins (1895–1975) Dialogkonzept entwickelte Intertextualitätstheorie auf die Quellenreferenzpraxis in Bachtins eigenen Texten zurück, fragt also nach seiner Dialogkultur.
In der Auffassung einer poststrukturalistisch orientierten Lesart (Kristeva 1969; Lachmann 1990) führt die von Bachtin beschriebene Doppeltgerichtetheit des dialogischen Wortes zu einer potentiell unendlichen Kette an Verweisungen auf andere Wörter. Das Merkmal der Intertextualität gerät so zum Faktor massiver Komplizierung. Die Gegenthese wurde häufig unter marxistisch-pragmatischen Auspizien lanciert: Insbesondere die Vertreter der Warschauer „Poetyka pragmatyczna“ [„Pragmatische Poetik“] (Czaplejewicz/Kasperski 1977), aber auch Jenny (1976) begreifen den Verweischarakter des dialogischen Wortes als Chance zur Rekontextualisierung, zur Rekonstruktion einer „historisch gewesenen“ kommunikativen Disposition des künstlerischen Wortes, also als Werkzeug einer objektiven historischen Semantik.
Die beiden Pole der Fixierung von Textsinn durch Rekontextualisierung einerseits und der Komplizierung dieses Sinns durch unendliche intertextuelle Verweise kehren in der Rezeption Bachtins wieder: Die Rezipientinnen loten die intertextuelle Verfasstheit von Bachtins Texten selbst aus. Das Erkennen der historisch-kommunikativen Konstellation, in der seine Werke entstanden, seine Verortung im Kontext der Prätexte soll dem besseren Verständnis seiner Arbeiten dienen. Diese Operation wirft das Licht zurück auf die Sinnkonstitutionsstrategie von Bachtins eigenen Texten. Das in seinen Werken zu beobachtende Verfahren, sich explizit auf historische Materialien zu beziehen, Berührungen mit zeitgenössischer Theorie und Philosophie aber kaum zu markieren, ist als besondere Strategie der Sinnkonstitution in Bachtins Werken zu beschreiben. Das Projekt „Die Dialogkultur der Dialogtheorie“ widmet sich also der ketzerischen Frage, ob Bachtins gespaltene intertextuelle Dialogkultur nicht tendenziell – in seinen eigenen Begriffen – als monologisch zu kennzeichnen wäre.
Der Vortrag projiziert die im Anschluss an Michail M. Bachtins (1895–1975) Dialogkonzept entwickelte Intertextualitätstheorie auf die Quellenreferenzpraxis in Bachtins eigenen Texten zurück, fragt also nach seiner Dialogkultur.
In der Auffassung einer poststrukturalistisch orientierten Lesart (Kristeva 1969; Lachmann 1990) führt die von Bachtin beschriebene Doppeltgerichtetheit des dialogischen Wortes zu einer potentiell unendlichen Kette an Verweisungen auf andere Wörter. Das Merkmal der Intertextualität gerät so zum Faktor massiver Komplizierung. Die Gegenthese wurde häufig unter marxistisch-pragmatischen Auspizien lanciert: Insbesondere die Vertreter der Warschauer „Poetyka pragmatyczna“ [„Pragmatische Poetik“] (Czaplejewicz/Kasperski 1977), aber auch Jenny (1976) begreifen den Verweischarakter des dialogischen Wortes als Chance zur Rekontextualisierung, zur Rekonstruktion einer „historisch gewesenen“ kommunikativen Disposition des künstlerischen Wortes, also als Werkzeug einer objektiven historischen Semantik.
Die beiden Pole der Fixierung von Textsinn durch Rekontextualisierung einerseits und der Komplizierung dieses Sinns durch unendliche intertextuelle Verweise kehren in der Rezeption Bachtins wieder: Die Rezipientinnen loten die intertextuelle Verfasstheit von Bachtins Texten selbst aus. Das Erkennen der historisch-kommunikativen Konstellation, in der seine Werke entstanden, seine Verortung im Kontext der Prätexte soll dem besseren Verständnis seiner Arbeiten dienen. Diese Operation wirft das Licht zurück auf die Sinnkonstitutionsstrategie von Bachtins eigenen Texten. Das in seinen Werken zu beobachtende Verfahren, sich explizit auf historische Materialien zu beziehen, Berührungen mit zeitgenössischer Theorie und Philosophie aber kaum zu markieren, ist als besondere Strategie der Sinnkonstitution in Bachtins Werken zu beschreiben. Das Projekt „Die Dialogkultur der Dialogtheorie“ widmet sich also der ketzerischen Frage, ob Bachtins gespaltene intertextuelle Dialogkultur nicht tendenziell – in seinen eigenen Begriffen – als monologisch zu kennzeichnen wäre.